: Sportlich eine ruhige Kugel schieben
Die Hertha, die nicht Fußball spielt (Teil 3): 100.000 Mitglieder hat Hertha BSC, doch nur 21 von ihnen sind aktive Sportkegler. Und Nachwuchs ist nicht in Sicht. Der Benjamin ist ein 38-Jähriger. Ein Besuch bei den Keglern in der Stresemannstraße
von ANDREAS RÜTTENAUER
Uralte, nie eingeweihte U-Bahn-Röhren, die Versorgungszentrale der neuen City am Potsdamer Platz oder ein zu Lehrzwecken errichteter Bergbauschacht auf dem Gelände der TU: In Berlin gibt es viele faszinierende, mehr oder weniger geheime Orte, die sich irgendwo unter der Erde befinden.
Zu einer der unbekannteren unter den Örtlichkeiten dieser Art im großstädtischen Untergrund gelangt man durch eine grüne Stahltür im Keller einer Betonburg an der Stresemannstraße, hinter der man eher einen Müllraum oder eine Tiefgarage vermutet als das „Kegelsportzentrum am Anhalter“. Wer die Feuerschutztür geöffnet hat, steht zunächst inmitten der Resopalmöbelwelt einer Großgaststätte. An den Seiten des Schankraums sind kleine, ebenfalls im Wirtshausstil gestaltete Separees, von wo aus man Zugang zu jeweils zwei der insgesamt 32 Sportkegelbahnen hat. Hier trainieren und spielen die meisten Berliner Kegelvereine.
Immer donnerstags trifft sich in den Kegelkatakomben eine Gruppe nicht mehr ganz junger Männer in weiß-blauer Trainingskleidung mit der Aufschrift „Hertha BSC“. Neben Fußball, Boxen und Tischtennis gibt es nämlich eine vierte Sportart, die unter dem Dach der Hertha betrieben werden kann: Sportkegeln. Abteilungsleiter Wolfgang Strasen weiß, dass die Kegler in der Hierarchie der Abteilungen („Erst kommt Fußball, dann komm Fußball und dann noch einmal Fußball“) ganz weit unten stehen. Das muss nicht verwundern, denn von den etwa 10.000 Hertha-Mitgliedern sind lediglich 38 bei den Kugelschiebern registriert. 21 Aktive erscheinen regelmäßig zum Training in der Kelleranlage. Die große Hertha stellt dabei mehr als nur den guten Namen zur Verfügung. Mit der jährlichen Finanzspritze können die Pachtgebühren im Kegelsportzentrum beglichen werden.
Doch die Kegler betrachten sich nicht nur als Anhängsel der Fußballer. Sie blicken auf eine mehr als 80-jährige Geschichte zurück. Die sechs deutschen Meistertitel im Mannschaftswettbewerb wurden zwar schon in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errungen. Doch da befindet man sich innerhalb des Vereins in guter Gesellschaft. Denn die Fußballer wurden letztmalig 1931 Meister.
Der 36-jährige Frank Trapp ist der absolute Benjamin der Abteilung. Er ist noch nicht Bester, aber das kann ja noch werden. Sportkegeln ist nicht gerade eine Sportart, die auf junge Menschen eine große Anziehungskraft ausübt. Auch Wolfgang Strasen ist sich bewusst, dass die Kegler bisweilen belächelt werden. Vom geselligen Kneipenkegeln, bei dem man sich während der Produktion eines Vollrauschs auch einmal an der Kugel versucht, grenzt er sich ab. Sportkegler sind Sportler. Hundert Kugeln hintereinander muss ein Kegler bei einem Ligakampf über die Bahn schicken. Das dauert über eine halbe Stunde. Da kommen auch die ins Schwitzen, bei denen keine überschüssigen Pfunde am Körper hängen. Wer bei seinem Einsatz weniger als „700 Holz“ macht, also keine 700 Kegel zu Fall bringt, hat einen schlechten Tag. Denn sieben Kegel pro Wurf sollten schon fallen.
Bei Junior Trapp zeigt das Display „Minus 12“ an. Das heißt, er ist unter dem Soll. Macht nichts. Er soll ja für die Zukunft aufgebaut werden. Plötzlich schafft er es, „alle Neune“ zu Fall zu bringen. „Holz!“, schreien seine Vereinskameraden im Separee, um ihn anzufeuern. Der nächste Wurf misslingt, und die Kugel landet in einer Rinne neben der Bahn. „Ratte“ nennen die Berliner Kegler diese Fehlschüsse. Aha! Ist unter den Straßen von Berlin von Ratten die Rede, sind nicht immer Nagetiere gemeint.