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Archiv-Artikel

Industrie gegen Markt

Die Unternehmer stellen sich bei der Vergabe der Emissionsrechte quer – und wollen von alten Versprechen nichts wissen

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Es ist eine gespenstische Runde, die sich da alle zwei Wochen im dritten Stock des Umweltministeriums am Berliner Alexanderplatz einfindet. Heute um 18 Uhr ist der vorerst letzte Termin zum Emissionshandel angesetzt. Dann werden 13 Industrievertreter widerwillig das Reich Jürgen Trittins betreten, des Manns, den sie so hassen wie keinen Zweiten in der Regierung. Im Besprechungsraum erwartet sie Trittins Staatssekretär Rainer Baake. Er wird neue Details zum Emissionshandel vorstellen. Die Industrievertreter werden betont freundlich ein paar Fragen stellen – und wohl weiter mauern, wie schon in den Sitzungen zuvor. Zwischendrin wird sich Georg-Wilhelm Adamowitsch zu Wort melden, Staatssekretär in Clements Wirtschaftsministerium, und Verständnis zeigen für die Nöte der Industrie.

Aber was heißt schon die Industrie: Noch halten die 13 Vorstandsmitglieder aus den Branchen Energie, Papier, Stahl, Zement und Chemie zusammen. Noch. Denn beim Emissionshandel haben Kraftwerksbetreiber andere Interessen als Zementfabrikanten. „Es stehen alle Branchen in Konkurrenz miteinander und auch die Regierungsvertreter miteinander“, erklärt Carsten Kreklau, Vorständler beim Industriedachverband BDI. „Eine extrem schwierige Gefechtslage.“ Es sei ein Wunder, scherzt der Industrielle, dass noch keine Geschosse durch den Raum geflogen seien.

In den Neunzigern hatten Industrielle immer wieder einen Emissionshandel gefordert. Die Grundidee: Der Staat lenkt die Industrie nicht mehr durch Anlagenvorschriften, sondern er gibt nur noch das Ziel vor: Jede Anlage erhält Emissionsrechte, die dem entspricht, was sie am Stichtag ausstößt. Dann wird die Zahl der Rechte Jahr für Jahr verringert, bis das vorgegebene Minderungsziel erreicht ist. Wenn eine Firma nichts für den Klimaschutz tun will, kann sie Emissionsrechte von anderen kaufen, die kräftig in ihre ökologische Sanierung investiert haben. Der Preis der Lizenzen entsteht wie an der Börse. Der Markt entscheidet, wo Umweltschutz gemacht wird, nicht mehr der Staat. Die Kosten für Klimaschutz sinken, weil nur dort investiert wird, wo es billiger ist, als Emissionsrechte zu kaufen.

Jetzt, wo es ernst wird, will die Industrie davon nichts mehr wissen. Am liebsten bliebe sie bei ihrer „freiwilligen Selbstverpflichtung“, die sie 2000 abgegeben hat: Damals versprach sie, bis 2010 rund 45 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid auszustoßen – 9 Prozent weniger als 1998. Nun nimmt Trittin sie beim Wort und will ihr genau so viele Emissionsrechte zuteilen, dass sie dieses Versprechen erfüllt. Doch nun will der BDI nur noch einen Bruchteil davon erbringen.

Auch Trittins Ideen für den Emissionshandel stoßen auf Ablehnung, obwohl einige Umweltpolitiker sie schon als „zu großzügig“ bezeichnen. Trittin hatte angeboten, dass jeder Kraftwerksbesitzer, der sein altes Kohlekraftwerk abreißt und ein neues Kraftwerk hinstellt, seine alten Emissionsrechte behalten darf. Nur wer neu baut, muss sich an der klimafreundlichsten Technik, einem modernen Gasheizkraftwerk (GuD), messen lassen. Das heißt: Er bekommt nur so viele Lizenzen zugeteilt, wie ein ideales Gaskraftwerk benötigt.

Doch die Industrie will auch Kohlekraftwerke neu bauen dürfen, ohne Emissionsrechte kaufen zu müssen. Aber selbst das modernste Kohlekraftwerk stößt doppelt so viel Kohlendioxid wie ein neues GuD-Kraftwerk aus. Zudem verlangt der BDI, dass für die ersten drei Jahre genauso viele Lizenzen ausgegeben werden, wie die 2.670 betroffenen Fabriken brauchen.

Nur die Ablehnung jeder Festlegung hält die Industriellen in Baakes Zimmer noch zusammen. Ihr Kalkül: Provoziert man das Kanzleramt zum Eingreifen, könnte es gelingen, Trittin wieder zum Buhmann machen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement stützt solche Hofffungen mit Aussagen wie: Es darf weder „eine neue Belastung für die Wirtschaft“ noch „eine Verdrängung unserer heimischen Kohle“ geben. Das bringt sogar Genossen auf die Barrikaden. „Offenbar will Herr Clement den Energiemix zugunsten der Kohle verändern“, schimpfen SPD-Abgeordnete.

Mit dem langfristigen Zurückdrängen der Kohle steht und fällt aber der Klimaschutz. Die Regierungskoalitionen wollen deshalb dem Treiben nicht länger zusehen: Die beiden zuständigen Fraktionsvize Michael Müller (SPD) und Reinhard Loske (Grüne) bestellten die Minister Trittin und Clement für heute Mittag ein – sowie Manfred Stolpe. Der Verkehrsminister wäre nämlich am Ende der, der einen Rückzieher der Industrie durch mehr Klimaschutz im Verkehr und im Wohnungsbau ausbaden müsste. Dabei versucht auch Stolpe, seine Verpflichtungen zu drücken.

„Wenn der eine weniger tut, muss der andere mehr machen“, sagt Loske. Deshalb sollten Stolpe und Clement den Umweltminister unterstützen. Auch Müller wird erklären, dass „die Fraktion will, dass das deutsche Klimaziel umgesetzt wird“ – und die Industrie ihre alten Versprechen einhält. Noch ist offen, ob die Fraktionen ihre Minister auf Linie kriegen und ob sich das Kanzleramt noch einklinkt, wenn der Streit eskaliert. Vielleicht hat der BDI den Bogen überspannt. „Es ist nicht die originäre Aufgabe des Staates“, so BDI-Vorständler Kreklau der taz, „den Energiemix zu steuern.“ Für diese Position dürfte nicht einmal der Kanzler Verständnis haben.