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Archiv-Artikel

Normalzeit HELMUT HÖGE über die Mütterwerdung des Ex- und Hopp-Proletariats

Hass auf Management by Love

Neulich haben die berühmt-berüchtigten US-Wissenschaftler wieder was Neues herausgefunden: Die überwiegende Mehrzahl der Frauen wünscht sich mehr – männliches – Durchsetzungsvermögen, während die Männer (89,2 Prozent) davon träumen, so wie die Frauen begehrt zu werden.

Ihr Wunsch geht schon jetzt regelmäßig bei einem Bordellbesuch in Erfüllung – insofern sie dort sofort und auch noch von mehreren Frauen (genau genommen sogar von allen) begehrt werden: als zahlende Kunden. Viele Männer, die sich allein in solche Nacktclubs reintrauen, sind denn auch über diese Umkehrung ihrer sonstigen Anmachverhältnisse stark eingeschüchtert – und verdrücken sich erst mal in die „Angstecke“. So nennen die Mädels eine Ecke der Bar, die möglichst nahe beim Ausgang ist und wo man quasi mit dem Rücken zur Wand sitzt.

Überhaupt begeben sich fast alle Männer erst mal an die Theke und werfen dann von dort aus vorsichtig einen Blick in den Raum hinter sich, wo die Frauen sitzen. Sobald eine sie anlächelt, drehen sie sich schnell wieder um. Es nützt ihnen natürlich nichts: Sie werden irgendwann trotzdem zu einem Piccolo und/oder Fick animiert: „Hallo, ich heiße Sonja!“ Auf dem Zimmer haben die Frauen dann noch mal das Problem, dass viele Männer auf Professionalität mit Schlappschwänzigkeit reagieren.

In Schweden, das im Wesentlichen von Frauen regiert wird, ist es ganz ähnlich: Auch hier sitzen die Männer in den Diskotheken und Clubs an der Bar, während die Frauen sich in den Sesseln hinter ihnen lümmeln. Wenn eine nicht allein tanzen will, muss sie sich einen Mann von der Theke pflücken. Dieses „schwedische Modell“ ist dort derart eingefahren, dass ein Mann, der eine Frau zum Tanzen auffordert, bei dieser auf völliges Unverständnis stößt. Vielleicht erklärt das schon, warum bei der dort verbotenen Prostitution der Freier und nicht die Hure bestraft wird: Er will quasi die Geschlechterverhältnisse wieder umdrehen – amerikanisieren oder pakistanisieren.

Die weibliche schwedische Sittenpolizei sieht das gar nicht gern: Sie will in den vorwiegend von Frauen ausgehenden Beziehungsanbahnungen quasi alles Prostitutive raushalten. Dennoch kann auch der dortige Sozialstaat nicht verhindern, dass nach Industrialisierung, Informatisierung und Verdienstleistung nun – mit der so genannten Globalisierung – auch noch und vor allem die Persönlichkeit zu Markte getragen wird: d. h. Mann/Frau produziert sich selbst – und prostituiert sich damit zugleich.

Für Marx war die (weibliche) Prostitution noch ein Spezialfall der allgemeinen Proletarisierung. Hierbei wurde die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur an der Maschine bewerkstelligt – in und mit der Technik. Seit deren Wegverlagerung nun steht der Mensch sich quasi allein gegenüber, um an sich selbst zu glauben und zu arbeiten: „Lass dir was einfallen! Sei kreativ! Be yourself but at its top!“ Auch dabei wird Natur in Kultur umgewandelt – und zum Beispiel aus einem verpennten Schluffi oder Messie in einer videogestützten Weiterbildungssmaßnahme eine „dynamische Persönlichkeit“, eine komplette „Ich-AG“.

So will es die Agenda 2010, die von Grottian, Narr und Roth zu Recht als „Repressanda“ bezeichnet wird. Die drei Politologen wollen stattdessen einen „Sockelbetrag“ für jeden und darüber hinaus ein freiwilliges Engagement von jedem. Dem Zwang zu „professioneller Freundlichkeit“, „emotionaler Intelligenz“ und der Ausbildung „kommunikativer Fähigkeiten“ setzen sie jedoch damit kaum etwas entgegen. Diese „quasimütterlichen Werte“, die nun allgemein verbindlich werden, stehen dafür im Zentrum einer Inszenierung von Claudia Hamm und Jelka Plate: „Umherschweifende Produzentinnen“. Die Premiere (mit Jürgen Kuttner) ist am 12. März um 20 Uhr in den Sophiensælen.