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Archiv-Artikel

„Ich bin kein Spinner“

Peter Neururer haftet das Image des Sprücheklopfers an. In Bochum zeigt der 48-Jährige nun, dass er auch ein guter Trainer ist. In die heute beginnende Rückrunde startet der VfL jedenfalls als Fünfter

„Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich gewaltig ändern“

INTERVIEW FRANK KETTERER

Herr Neururer, wenn wir uns richtig informiert haben, lautet Ihr Lebensmotto „Schweigen ist feige“. Über was würden Sie mit der taz gerne reden?

Peter Neururer: Ob ich gerne rede, ist doch eine ganz andere Geschichte. Das Motto „Schweigen ist feige“ muss man vielmehr in Verbindung bringen mit der oftmals nicht praktizierten, aber von mir immer wieder eingeforderten Zivilcourage.

Was ist Zivilcourage?

Man hat sich Problemen zu stellen und sich klar dazu zu äußern. Und man darf sie nicht einfach hinunterschlucken, nur um des Friedens willen. Da sind die Diplomaten für zuständig. All das bedeutet aber dennoch nicht, dass ich unbedingt über jedes Thema reden möchte.

Über Fußball aber reden Sie doch bestimmt gerne, oder?

Natürlich. Ich rede durchaus auch über andere Dinge, wenn ich gefragt werde. Den Horizont nur auf Fußball zu beschränken, das wäre nicht so ganz gut.

Ist es trotzdem in Ordnung, wenn wir uns in erster Linie darüber unterhalen?

Kein Problem. Fußball ist mein Job. Und Ihrer ja auch.

Gut, dann können wir ja endlich anfangen. Herr Neururer, Sie haben vor der Winterpause angekündigt, sich die Tabelle jeden Tag anschauen zu wollen. Hat sich was verändert?

Glücklicherweise nicht.

Dann ist Bochum immer noch Fünfter – und liegt vor Dortmund und Schalke. Wie konnte das passieren?

In dem wir das gebracht haben, wozu wir im Stande sind; wir haben nicht darüber hinaus gespielt, aber auch nicht drunter. Und eindeutig lag es an den schwächeren Phasen der beiden großen Konkurrenten hier im Ruhrgebiet. Vom Gesamtpotenzial sind die uns zwar überlegen, aber wir habe unser vorhandenes Potenzial zu 100 Prozent abgerufen, und die haben – durch Pech, Verletzungen und andere Sachen, die ich nicht zu kommentieren habe, weil ich deren Trainer nicht bin – ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Von dem her ist die Tabelle eine wunderbare Momentaufnahme.

Was muss geschehen, damit Bochum da vorne bleibt?

Unser Ziel ist es, in der Rückrunde noch mal genauso viele Punkte zu holen, wie wir jetzt haben. Ob wir dann immer noch vor Dortmund und Schalke stehen, das ist eine andere Geschichte.

Sie befürchten, dass sich auf Dauer doch wieder die Geldsäcke der Liga durchsetzen?

Nö, nö, nö, überhaupt nicht. Ich glaube vielmehr, dass wir uns mit der Entwicklung, die wir mit dem VfL Bochum eingeschlagen haben, den vermeintlich Größeren schon unheimlich genähert haben und auf Dauer mit unserer Vereinspolitik auch im Stande sind, mit ihnen gleich zu ziehen oder sie sogar zu überholen. Den ersten Schritt in diese Richtung haben wir ja schon geschafft, indem wir 26 Punkte gesammelt haben in einem Zeitraum, in dem die anderen weniger Punkte geholt haben, obwohl sie höhere Etats haben. Und wenn wir weiter so arbeiten und die anderen irgendwelche Fehler machen, egal ob in wirtschaftlichen oder in anderen Dingen, dann kann es uns gelingen, auf dieser Ebene zu bleiben oder sogar noch höher zu kommen.

Welchen Einfluss auf solche Entwicklungen hat ein Trainer?

Ich habe Einfluss auf die sportlichen Entscheidungen: wer spielt und in welchem Zustand die Leute spielen. Ein Trainer allein aber kann gar nichts erreichen, wenn ihm der Rückhalt nicht gegeben wird.

Ihnen wird er gegeben?

Sicher. Ich habe hier hervorragende Mitarbeiter, vom Co-Trainer bis zur medizinischen Abteilung. Und ich habe die Rückendeckung des Präsidenten und des Vorstandes. Ohne die geht gar nichts.

Und weil derzeit alles so gut läuft, haben Sie bereits angekündigt, mit Bochum deutscher Meister werden zu können.

Ach! Mein Vertrag beim VfL läuft 2005 aus – in der Zeit, ich bin kein Spinner, werden wir wahrscheinlich nicht Meister werden.

Da ist es wohl wahrscheinlicher, dass Sie irgendwann für den Erfolg, den Sie derzeit haben, bestraft werden.

Das ist doch immer so: Die Erwartungshaltungen werden sich ändern, die Ansprüche steigen …

die besten Spieler werden Ihnen von den reicheren Vereinen weggekauft, Paul Freier beispielsweise von Bayer Leverkusen. Und dennoch werden Sie, sollte es in dieser Saison am Ende für den Uefa-Cup reichen, es den Fans in der nächsten Spielzeit kaum als Erfolg verkaufen können, wenn Sie mit dem VfL dann nur noch um Platz zehn spielen oder gar gegen den Abstieg.

Richtig. Wobei Sie das mit dem Abstieg vergessen können, das ist nicht mehr unser Thema. Deshalb habe ich ja auch gesagt, und das ist jetzt ein ernsthaftes Zitat: Wir sind der deutschen Meisterschaft näher als dem Abstieg.

Dennoch kann es, wenn Sie Pech haben, irgendwann heißen: Danke, Peter, für die nette Zeit. Aber, sorry, das war’s. Und plötzlich sind Sie wieder arbeitslos, sitzen zu Hause vor dem Telefon und warten darauf, dass ein neuer Verein anruft, so wie Sie das vor Ihrer Zeit beim VfL getan haben.

Ja, mit Sicherheit. Aber wenn dieser Schritt beim VfL Bochum irgendwann vollzogen werden sollte, weiß ich zumindest, dass er mit Stil und Format und mit Niveau vollzogen wird. Bisher, das muss man zugeben, haben wir ja nur gute Zeiten miteinander erlebt. Wenn’s richtig kracht, dann sehen wir, wie’s läuft.

Mit Verlaub: Das ist doch Scheiße, oder?

Es ist aber so. Das ist mein Job. Ich habe hier mittlerweile sicherlich einen gewissen Kredit, auch beim Publikum, aber wenn es dazu kommen sollte, dass wir sieben, acht Spiele in Folge verlieren, dadurch unsere Ziele aus den Augen verlieren und die Fans solchen Blödsinn rufen wie: entweder der geht oder wir, dann muss jeder Vorstand, der vernünftig arbeitet, im Sinne des Vereins handeln. Da zählt dann nicht mehr die Person Peter Neururer. Da muss reagiert werden.

Dennoch lieben Sie diesen Job?

Natürlich.

Was ist so faszinierend daran, Trainer zu sein?

Jeden Tag wunderbar an der frischen Luft arbeiten …

Das macht ein Briefträger auch.

Aber der wirft immer nur Sachen in den Schlitz. Ich hingegen habe Einfluss auf die Leute, die ich bearbeiten darf. Ich habe eine Riesenriege, die Mannschaft ist in sich stimmig. Es macht einfach von morgens bis abends Spaß.

Ein besonders hohe Meinung von Ihresgleichen scheinen Sie aber nicht zu haben.

Meinesgleichen gibt es doch gar nicht. Ich habe viele Kollegen, aber einen zweiten Peter Neururer, das kann die Bundesliga nicht verkraften.

Einigen dieser Kollegen haben Sie vorgeworfen, kein Rückgrat zu haben. Wo fehlt’s?

An der angesprochenen Zivilcourage, die sich unter anderem auch in mangelnder Solidarität ausdrückt. Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ganz gewaltig ändern, da muss ein Ehrenkodex her.

Wie könnte der aussehen?

Dass wir uns beispielsweise dazu verpflichten, in der Öffentlichkeit grundsätzlich nichts über Kollegen zu sagen. Dass wir Fehler, die im Augenblick geschehen, nicht auf den Vorgänger zurückführen. Dass man sich nicht für einen Job ins Gespräch bringt, wenn ein anderer Kollege diesen Job noch ausübt. Und, und, und … – da gibt es eine ganze Menge, die man in so einen Ehrenkodex packen könnte.

Den müsste man schriftlich fixieren und auch Sanktionen bei Verstößen vorsehen?

Ich finde ja. Aber ich bin nicht für Sanktionen zuständig.

Zur Auflockerung einer Ihrer besten Sprüche: „Wenn wir ein Quiz machen würden unter den Trainern in Deutschland, wer am meisten Ahnung hat von Trainingslehre, Psychologie, und der mit den besten Ergebnissen kriegt den besten Klub, dann wäre ich bei Real Madrid.“

Tja, und jetzt bin ich beim VfL.

Ist das ungerecht?

Überhaupt nicht. Ich habe den besten Verein gefunden, den ich mir vorstellen kann. Jetzt könnte Real Madrid kommen, ich würde da nicht hingehen.

Wann ist ein Trainer ein guter Trainer?

Das sehe ich anders als die meisten anderen.

„Mein Vertrag läuft 2005 aus. In der Zeit werden wir wahrscheinlich nicht Meister“

Nämlich?

Für mich ist ein Trainer dann gut, wenn er im Stande ist, eine Mannschaft weiterzuentwickeln. Wenn er in der Lage ist, Konflikte innerhalb der Mannschaft zu lösen. Wenn er es schafft, seine Spieler auf ein körperlich gutes Niveau zu bringen. Wenn er seine taktischen Vorstellungen umsetzen kann und wenn er nicht an irgendwelchen Ergebnissen festzumachen ist. Ich weiß aber, dass all das eine sehr idealistische Vorstellung von mir ist. In der Wirklichkeit gibt es keine guten oder schlechten Trainer, sondern nur erfolgreiche und nicht erfolgreiche.

Was macht Sie zu einem guten Trainer?

Wer weiß, ob ich überhaupt einer bin? Allerdings habe ich wunderbar schöne Feedbacks von ehemaligen Spielern. Das freut mich und gibt mir eine gewisse Bestätigung, dass die Art und Weise, wie ich sie trainiert habe, wohl die richtige war. Aber ob gut oder schlecht – das kann ich nicht beurteilen.

Warum hat es bei manchem Ihrer ehemaligen Vereine weit weniger geklappt als jetzt mit Bochum?

Es hat eigentlich teilweise immer geklappt, zumindest so, wie ich mir das vorgestellt habe. Nur sind nicht unbedingt immer die richtigen Ergebnisse dabei rausgekommen. Und auch das Ende war meistens nicht so, wie man sich das vorstellt.

Weil ein guter Trainer, wenn er zum falschen Klub kommt, plötzlich kein guter Trainer mehr ist.

Nöö. Der bleibt weiter ein guter Trainer. Er ist dann nur beim falschen Klub.

Wann entscheidet sich, ob ein Trainer zu einem Verein passt?

Nach zwei Spieltagen, manchmal auch nach zwei Trainingstagen. Bei Hertha BSC hat es sich sogar schon nach 90 Trainingsminuten entschieden, dass es mit Huub Stevens nicht das Richtige werden kann.

Wie sehr ist ein Trainer bei einem solchen Vorgang von seinem Image abhängig?

Das Image machen Sie, die Medien. In Bezug auf den Trainer – und in Bezug auf den Verein. Die Bundesliga ist mittlerweile so transparent geworden, dass man sich in jeder Mannschaft und in jedem Verein auskennt; da weiß man als Trainer, was auf einen zukommt. Das Image aber, das wird von außen gemacht.

Welches Image hatten Sie, bevor Sie zum VfL kamen?

Das kennen wir doch alle: Zunächst war ich der Retter, wenn es gut gelaufen ist, war ich der Motivationskünstler, wenn es schlecht gelaufen ist, war ich der Sprücheklopfer, wahlweise der Lautsprecher. Wunderbar.

Welches Image haben Sie heute?

Keine Ahnung. Mich interessiert mein Image nicht mehr. Überhaupt nicht. Außerdem habe ich mich ja nicht verändert.

Auf jeden Fall haben Sie mit Bochum mehr Erfolg denn je. Herr Neururer, wo steht der VfL am Saisonende?

Wir glauben daran, dass wir noch mal 26 Punkte holen. Mal sehen, wozu das reicht.