berliner ökonomie
: Wie geht es weiter?

Privatisierung von unten: In Berlin wird über die Konsequenzen der Finanzkrise für eine solidarische Ökonomie diskutiert

„Tourismus ist Motor der Ökonomie“, titelte der Tagesspiegel neulich. In Berlin seien dadurch bereits 250.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Großer Jubel. Aber abgesehen davon, dass man nun davon ausgehen muss, dass mit der Finanz- und Immobilienkrise nun wahrscheinlich die ganzen jungen Billigflieger-Touristen wegbleiben und die für sie hastig zu Hostels ausgebauten und bis dahin ungenutzten Bürokomplexe erneut leer stehen werden, muss die Frage erlaubt sein: Ist das überhaupt Arbeit (gewesen)? Dem Amüsierpöbel die Suppe hinterherzutragen und das Bett beziehen? Ja!, wird gesagt, in der Dienstleistungsgesellschaft – und darin leben wir doch jetzt. Die epidemisch werdenden Globaltrottel nennt man bereits vornehm „Neue Nomaden“, und ihre projektemacherische Penetranz „Flexibilität“.

In zynischer Absicht verriet der inzwischen vorbestrafte Peter Hartz – „unser bester Mann!“, so VW-Chef Piëch über seinen einstigen Personalchef – in dem bahnbrechenden Buch „Job Revolution“, wie man die Menschen dazu kriegt, jede Scheißarbeit sofort anzunehmen und noch froh darüber zu sein: Wir brauchen, so schreib Hartz, einfach eine neue „Job-Moral“, jeder muss selbst die „Verantwortung für seine Beschäftigungsfähigkeit“ übernehmen und „Mit-Unternehmer/Workholder“ werden. Wer das dazu notwendige „lebenslange Lernen“ nicht schafft, muss eben „dienend“ unterkommen. Dazu brauchen wir eine „Erlebniswelt“. Für die sollten die „Langzeitarbeitslosen“, so Hartz, „trainieren“, um sich zu dem „aufmerksamen Serviceanbieter zu entwickeln, der es an Freundlichkeit mit jedem Mitarbeiter eines Spitzenhotels aufnehmen kann, obwohl aktuell vielleicht nur der richtige Parkplatz anzuweisen ist“.

Nun gibt es aber noch eine andere PPP – von unten statt von oben: „Solidarische Ökonomie“ auch genannt. Sie entwickelte sich aus dem Unmut der Arbeitslosen seit Auslaufen der massenhaften ABM nach der Wende sowie den Protesten gegen Hartz IV. Und kulminierte 2006 in Kongressen an den drei Berliner Universitäten.

Gleichzeitig entstanden mehrere außeruniversitäre Initiativen: das „Netz – für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg e. V.“, „ein Zusammenschluss innovativer Klein- und Kleinstunternehmen und Projekte“ im Kreuzberger Alternativprojektzentrum Mehringhof. Ferner die ebenfalls dort regelmäßig tagende Initiative „Anders arbeiten oder gar nicht“. Und der damit zusammenhängende gemeinnützige Verein „Teilhabe e. V.“, dem es um den Aufbau eines „Erwerbslosenzentrums“ geht. Dazu wurde in Neukölln bereits der „Erwerbslosentreff in der ‚Lunte‘“, Weisestraße 53, gegründet, wo man sich mit „solidarischer Ökonomie“ und „Genossenschaften“ befasst.

Dies sind nur einige der Westberliner Initiativen. Es müssten hier mindestens noch einmal so viele Ostberliner Initiativen dazugezählt werden, die sich etwa um die Rosa-Luxemburg-Stiftung, den Verein Helle Panke und ähnliche PDS-nahe Organisationen herum gruppierten. Sie alle diskutierten auch und immer wieder über Vergenossenschaftungen, selbstverwaltete Betriebe und Selbsthilfeprojekte, erwogen ihr Für und Wider, sammelten diesbezügliche Erfahrungen aus so ziemlich allen Ländern und Erdteilen der Welt (z. B. über die rund 300 besetzten Betriebe in Argentinien) und publizierten darüber eine große Zahl von Büchern und Internettexten.

Im Laufe der Zeit legte jedoch eine Initiative nach der anderen eine „Denkpause“ ein. Dann kam der „Bankencrash“. Und nun geht es wieder von vorne los. In der vergangenen Woche fanden bereits zwei größere Veranstaltungen in Kreuzberg statt – über die „Jahrhundertkrise“ (Joachim Bischoff), organisiert von den Antifas und der Wochenzeitung Jungle World.

Und demnächst finden in Neukölln auch wieder mehrere Diskussionen über „Genossenschaften gründen“ statt. Hier wie dort geht man davon aus: „Es ist jetzt eine offene Situation“ entstanden. „Das ist aber kein Grund für die Linke, in Freudengeheul auszubrechen!“ Dennoch sollte sie die „Delegitimierung der Märkte und des Kapitalismus“, der PPP-Privatisierungen und Clusterbildungen ausnutzen und eine „gesellschaftliche Debatte lostreten über das Wohin der Krisenbewältigung“.

Ein Anfang dazu wurde nun gemacht, aber „Wie weiter?“

HELMUT HÖGE