: Der elektrische Schlag
Die so genannte E-Bombe der USA soll die gegnerische Elektronik zerstören. Eine Wunderwaffe ist sie nicht
von ERIC CHAUVISTRÉ
„Ohne Kommunikation befehlige ich nur meinen Schreibtisch.“ Mit diesem Satz soll ein führender US-General einmal mehr Mittel für eine Verbesserung der anfälligen Infrastruktur der Atomstreitkräfte eingefordert haben. Das war während der Ost-West-Konfrontation. Heute haben Investitionen in globale Kommunikationsanlagen für die US-Streitkräfte längst dieselbe Priorität wie die Beschaffung neuer Waffensysteme: „information warfare“ heißt das Stichwort. Dazu gehören nicht nur die Verbesserung der eigenen Kommunikation, sondern auch Versuche, die Kommunikationslinien gegnerischer Militärs zu stören oder dauerhaft zu unterbrechen.
Unter anderem soll mit so genannten E-Bomben die Elektronik des irakischen Militärs zerstört werden. Bagdads Kommandeure würden dann daran gehindert, Befehle an ihre Truppen zu geben. Neben einem massiven konventionellen Bombardement könnten die US-Streikräfte auch diese neuen unsichtbaren Waffen einsetzen. Statt die physische Struktur der gegnerischen Truppen zu zerstören, so ein alter Traum der US-Militärs, sollen wichtige militärische Anlagen nur lahm gelegt werden. „Functional kill“ statt „structural kill“ nennen das die nie um originelle Begriffe verlegenen Pentagonplaner.
Die E-Bombe – auch bekannt als HPM-Waffe für „high-powered microwave“ – soll durch einen elektromagnetischen Impuls die vorläufige Krönung für diese Art der Kriegsführung sein. Ähnlich einem Blitzeinschlag würde sie durch plötzlichen Anstieg der Stromspannung in elektronischen Geräten diese – je nach gewählter Stärke – zeitweise ausschalten, ihre Funktionsfähigkeit einschränken oder auch dauerhaft beschädigen. Auch Betonwände und Erdwälle würden die Elektronik nicht vor der Wirkung der E-Bombe schützen.
Die technische Herausforderung der E-Bombe liegt darin, für wenige Nanosekunden einen extrem hohen Spannungs- und Magnetimpuls vergleichbar dem eines Blitzschlags zu erzeugen. Die durch die Explosion konventionellen Sprengstoffs erzeugte Energie wird so konzentriert, dass für den Bruchteil einer milliardstel Sekunde eine Leistung von mehr als einer Million Watt abgegeben werden kann. Bei den von den Wellen im Gigaherzbereich, also noch über denen von Radargeräten, getroffenen Geräten erzeugt der plötzliche Anstieg der elektrischen Spannung einen Kurzschluss. Es ist, als würde für einen extrem kurzen Moment einem empfindlichen elektronischen Bauteil die Energie eines ganzen Kraftwerks zugeführt.
Eine Studie aus dem Umfeld der US Air Force beschreibt ausführlich die technischen Herausforderungen und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten. Es scheint ein ganzes Arsenal von E-Bomben zu geben, die in ihrer Leistung und in der genutzten Frequenz variieren, jeweils zugeschnitten auf den Einsatz gegen bestimmte elektronische Bauteile. Auch wenn die Waffe nach Jahrzehnten der Forschung noch im Entwicklungsstadium ist: Viele Militäranalysten erwarten einen Einsatz im Irak. Einen Hinweis darauf gab vor einiger Zeit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. „Man weiß nie“, sagte der Pentagonchef auf die Frage nach dem Einsatz der neuen Waffe: „Manchmal mischt sich die reale Welt ein und man greift auf etwas zurück, was sich im Entwicklungsstadium befindet.“
Potenzielle Ziele für die neuen E-Bomben im Irak wären die als Paläste Saddam Husseins bezeichneten weitflächigen Anlagen, Kommandozentren, von den USA vermutete Waffenlager sowie unterirdische Stellungen der Führungselite. Die Bunkerbesatzungen würden durch die Störung oder Zerstörung der elektrischen Steuerungssysteme nicht nur von der Außenwelt abgeschlossen, sondern wohl auch zu Tode kommen. Denn neben Kommunikationsanlagen könnte auch die Versorgung der unterirdischen Bunker mit Trinkwasser und Sauerstoff unterbrochen werden – sofern deren Steuerung nicht bewusst auf weniger anfällige Uralttechnologie zurückgreift.
Diese Folgen des Einsatzes der vom Pentagon als „non-lethal“ (nichttödlich) bezeichneten Waffen, würden natürlich auch zivile Anlagen wie Wasserwerke oder Krankenhäuser betreffen, die in dem auf mehrere hundert Meter geschätzten Wirkungskreis der Waffen liegen. Denn auch deren elektrische Steuerungssysteme würden in Mitleidenschaft gezogen. Je mehr die Anlagen von elektronischer High-Tech abhängen, desto anfälliger sind sie für den Effekt der neuen Waffe. Im engeren Wirkunsgkreis der E-Bombe können Menschen zudem auch unmittelbar verletzt werden. Die Waffen können „Bewusstlosigkeit verursachen“, heißt es in einer Pentagonstudie aus dem Jahr 1997, „sie können aber auch töten“.
Ob die E-Bombe in dem geplanten Irakkrieg tatsächlich die entscheidende Wunderwaffe sein wird, wie aus dem Umfeld des Pentagons offenbar gezielt über die Branchenblätter der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie verbreitet wird, darf bezweifelt werden. Weite Teile der irakischen Kommunikationsstruktur und der Luftabwehranlagen sind durch die jahrelangen amerikanisch-britischen Bombardements ohnehin längst zerstört. Beobachter gehen zudem davon aus, dass sich die Militärplaner nicht auf die Wirkung der neuen Waffe verlassen werden und die verbliebenen Kommando- und Kommunikationszentren zusätzlich auch auf konventionelle Art bombardieren werden.
Welchen Schaden die E-Bombe tatsächlich angerichtet hat, ist nach ihrem Einsatz nicht ohne weiteres erkennbar. „Die Einschätzung des Schadens ist das größte Problem der Waffe“, bemerkt Michael Levi von der Federation of American Scientists in Washington. Das kann allerdings auch bedeuten, dass die E-Bombe ebenso wie die verdeckt operierenden Spezialeinheiten bereits eingesetzt werden, lange bevor der Krieg sichtbar beginnt.
Selbst wenn die E-Bombe genauso wirkt, wie es sich ihre Entwickler erhoffen, wird auch sie das eigentlich Problem der Pentagonplaner nicht lösen können: Sollte der „worst case“ eintreffen und sich bewaffnete irakische Verbände tatsächlich nach Bagdad zurückziehen, um dort die Verluste unter den US-Truppen möglichst hochzutreiben, werden diese kaum von den Befehlen eines Generals am Schreibtisch abhängig sein. Die auf die Zerstörung einer zentralen Struktur ausgerichtete E-Bombe dürfte den US-Militärs dann wenig nützen.