Krieg wider Willen

Auf Druck der USA stimmt das türkische Parlament heute erneut über Stationierung von US-Truppen ab

ISTANBUL taz ■ Heute wird das türkische Parlament erneut über einen Antrag der Regierung abstimmen, der die Stationierung von US-Soldaten in der Türkei ermöglichen soll. Darüber hinaus will Premier Tayyip Erdogan vom Parlament die Erlaubnis für mehrere Luftkorridore, die die US-Airforce von Europa und aus dem Mittelmeer heraus für Angriffe auf den Irak nutzen will, so wie die Zustimmung für eine mögliche Intervention der türkischen Armee in den Nordirak.

Nachdem sich das Parlament am 1. März gegen eine Kriegbeteiligung ausgesprochen hatte, hatten die USA den Druck auf Ankara kontinuierlich gesteigert. Am Montag nach dem Kriegsgipfel auf den Azoren kam eine erneute massive Drohung aus Washington. Den US-Zeitplan für den Kriegsbeginn vor Augen, meldete sich Colin Powell und erklärte seinem Kollegen Abdullah Gül, die Türkei habe nun die allerletzte Chance, Partner der USA zu bleiben, wenn das Parlament innerhalb von 72 Stunden grünes Licht gebe.

Am Montagabend traf sich daraufhin eine Krisenrunde aus Regierung und Militärs bei Präsident Sezer und legte sich fest. Aus „nationalem Interesse“ soll das Parlament sich noch einmal mit der Frage von Krieg und Frieden befassen. Für die Abgeordneten dürfte der kurze Frühling der Demokratie beendet sein und Regierung und Militär werden bekommen, was sie wollen. Sollten die US-Bomber in der Nacht von Donnerstag auf Freitag das erste Mal Bagdad angreifen, bliebe den US-Militärs noch genug Zeit, um ihre Truppen an die Nordfront heranzuschaffen, bevor der Bodenkrieg beginnt.

Wider Willen wird die Türkei damit in einen Krieg gezwungen – mit erheblichen Konsequenzen. Nicht nur die Wirtschaft droht erneut zu kollabieren, auch der gerade entstandene Frieden im kurdischen Südosten gerät wieder in Gefahr. Wenn die türkische Armee in den Nordirak einmarschieren sollte, um die Entstehung eines kurdischen Staates zu verhindern, ist ein Guerillakrieg programmiert, der die Spannungen zwischen Türken und Kurden auch in der Türkei erneut verschärfen wird. Deshalb treffen sich heute noch einmal die Führer der irakischen Kurden mit Außenminister Abdullah Gül, um noch eine Vereinbarung zu finden, die diesen Konflikt verhindern kann.

JÜRGEN GOTTSCHLICH