: Geteert und gefedert
Krise bei der BBC – nach dem Hutton-Bericht nahmen zwei Verantwortliche ihren Hut. Jetzt springen dem Sender sogar konservative Zeitungen bei
VON STEFFEN GRIMBERG
In der üblicherweise BBC-kritischen konservativen Daily Mail schrieb gestern der ehemalige Chefredakteur des noch konservativeren Daily Telegraph: „Hutton erweist uns einen Bärendienst. Er schafft es nicht, die Story in den Kontext der großen Verdienste der BBC und der schlimmen Verfehlungen der Regierung zu stellen. Wir sind Zeugen, wie ein BBC-Chairman zurücktritt, während Alistair Campbell von der Spitze seines Misthaufens kräht.“
Gestern Mittag erklärte nach dem Chairman auch BBC-Generaldirektor Greg Dyke seinen Rücktritt, um „einen Schlussstrich“ zu ziehen und der Anstalt „einen Neuanfang“ zu ermöglichen. Sein Abtritt sei kein Zeichen, dass nun die Unabhängigkeit der BBC kompromittiert sei, sagte Dyke, der als Generaldirektor gleichzeitig oberster Chefredakteur aller BBC-Sender ist: „Es ist genau das Gegenteil. Ich gehe, damit die Unabhängigkeit der BBC erhalten bleibt.“ Dyke bedauerte, dass die Labour-Regierung von Tony Blair seine Entschuldigung nicht akzeptiert habe. „Fehler hat die BBC gemacht, keine Frage“, sagte Dyke bei einem Auftritt vor Journalisten.
Seit 10 Uhr Ortszeit hatte das ebenfalls unter Beschuss stehende BBC-Aufsichtsgremium Board of Governors getagt. Nach Meinung von Insidern bot Dyke hier seinen Rücktritt zunächst nur aus taktischen Gründen an. „Er hat klar gehofft, dass sie sein Angebot ablehnen“, sagte der Chef der kommerziellen Nachrichtensender ITN und Euronews, Stewart Purvis. Denn die Anstalt hatte schon Wochen vor der Präsentation des Hutton-Reports Konsequenzen aus der Kelly-Affäre gezogen, Qualitätskontrollen eingeführt und neue Richtlinien erlassen. Danach müssen sensible Beiträge stets vorab in Schriftform bei den Redaktionsleitungen vorgelegt werden.
Doch offensichtlich hat sich die Stimmung bei den Governors endgültig gewendet.
Gestern Nachmittag bekam die Regierung dann, was sie seit der Veröffentlichung des Hutton-Reports immer wieder eingefordert hatte: eine „uneingeschränkte Entschuldigung“ durch den geschäftsführenden BBC-Chairman Lord Ryder. Den Konservativen hatte das Blair-Lager keine 24 Stunden zuvor in sein Amt eingesetzt – die BBC wies nach seiner Ansprache auch auf diesen Umstand hin. Die Geschäfte als Generaldirektor führt seit gestern der frühere Chef des renommierten BBC World Service, Mark Byford. Er war Greg Dyke schon im Dezember als Stellvertreter zur Seite gestellt worden.
Die britische Presse hatte überwiegend den Hutton-Report als zu BBC-feindlich kritisiert. Der Independent erschien ganz in Weiß: Die Titelseite war zu zwei Dritteln leer, darauf nur ein Wort: „Whitewash?“ Dass der Hutton-Report die Blair-Regierung reinwäscht und die Schuld allein bei der BBC sieht, kritisierten gestern selbst Blätter, die der BBC sonst höchst kritisch gegenüberstehen. Die Regierung von Premierminister Tony Blair reagierte gelassen auf solche Schelte: Es sei wohl ein Reflex bei Journalisten, sich in ersten Affekt auf die Seite der BBC zu schlagen. Die Anstalt müsse jetzt aber „den Fakten ins Auge sehen“, sagte Blairs früherer Sprecher Campbell in einer BBC-Sendung: „Die BBC hat vor Veröffentlichung des Berichts stets gesagt, Lord Huttons Urteil sei über jeden Zweifel erhaben. Jetzt stellen sie seine Ergebnisse plötzlich in Frage.“
Nachdem BBC-Chairman Gavyn Davies schon am Mittwoch zurückgetreten war, übernahm gestern zunächst sein Vorgänger Sir Christopher Bland die Hauptrolle als BBC-Verteidiger: Das Urteil, ob die Regierung reingewaschen worden sei oder nicht, komme ihm nicht zu. „Sicher aber ist: Die BBC ist geteert und gefedert worden.“ Hutton habe in seinem Bericht mit zweierlei Maß gemessen. „Das erscheint mir nicht fair“, sagte Bland: „Die BBC macht Fehler. Dies liegt in der Natur der Sache, gerade beim investigativen Journalismus.“ Nach dem Rücktritt von Dyke nahm die BBC die Äußerungen von Bland aus dem Programm.
Nur das Boulevardblatt Sun und der auflagenschwache Daily Star standen gestern auf der Seite der Regierung, die Londoner Times bemühte sich um Ausgewogenheit, fordert aber ebenfalls den Rücktritt von Generaldirektor Greg Dyke.
Der Sun steht nun überdies eine Untersuchung ins Haus, wie sie bereits vor der offiziellen Präsentation des Hutton-Reports am Mittwoch an eine Kopie des Berichts gelangen konnte. „Wenn das Leck nicht in Downing Street war, wo war es dann“, fragte gestern die Konkurrenz. Sun wie Times gehören zum Medienimperium von Rupert Murdoch, der seine Titel weltweit im Irakkrieg auf den Kurs von US-Präsident Bush und Tony Blair eingeschworen hatte. Traditionell über Jahrzehnte auf Seiten der Konservativen Partei, unterstützen beide Blätter seit 1997 eher den Kurs von New Labour. Dieser Kurswechsel hat sich für den Medienunternehmer bereits auszahlt: Bislang durfte Murdoch als Zeitungsbesitzer aus Kartellgründen in Großbritannien nur Pay-TV veranstalten. Nach dem neuen Mediengesetz kann er sich aber bald auch ins Free-TV einkaufen – und steht dann in direkter Konkurrenz zur BBC.