Der Tod im Linienbus

Die Israelis fühlen sich gedemütigt: Während in Köln-Wahn Gefangene ausgetauscht werden, sterben in einem Jerusalemer Bus elf Menschen

JERUSALEM taz ■ Die Chancen auf direkte Gespräche zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Premierminister stehen schlechter denn je. Bei einem Selbstmordanschlag in Jerusalem wurden gestern elf Menschen getötet, unter ihnen der Attentäter. Fünfzig weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Gegen neun Uhr morgens zündete der Attentäter den mit Eisensplittern und Nägeln versetzten Sprengsatz in einem Linienbus, nur wenige Meter von der Residenz von Regierungschef Scharon entfernt. Die Explosion sprengte den Bus regelrecht. Augenzeugen berichteten von abgerissenen Körperteilen und einem „rollenden Kopf“. Das letzte Attentat in der Stadt liegt vier Monate zurück. Obschon sich bis zum Nachmittag niemand zu dem Anschlag bekannte, vermutet die Polizei den Islamischen Dschihad hinter dem Terrorakt. Die Hamas begrüßte den Anschlag als „logische Antwort auf die israelischen Besatzungsverbrechen“.

Die palästinensische Führung hingegen verurteilte den Anschlag, der „nur die Aggression gegen das palästinensische Volk verschärfen wird“, so Premierminister Achmad Kurei (Abu Ala). Zugleich verurteilte Kurei das harte Vorgehen israelischer Soldaten im Gazastreifen. Dort waren am Tag zuvor neun Palästinenser erschossen worden. Abu Ala hatte erst vorgestern gegenüber dem amerikanischen Sondergesandten John Wolf die Hoffnung auf erneute direkte Gespräche mit Scharon geäußert. Wolf, der sich gestern mit dem israelischen Verteidigungsminister Schaul Mofas beriet, übermittelte die Botschaft. Die israelische Regierung reagierte zunächst nicht auf das Angebot.

„Eine peinliche Affäre“

Stattdessen sagte Scharon ein für den Abend geplantes Treffen mit Vertretern der Geberstaaten ab, an dem auch Palästinenser teilnehmen sollten und bei dem es um Erleichterungen für die palästinensische Bevölkerung gehen sollte. „An einem Tag, an dem unschuldige Zivilisten in der Hauptstadt Israels ermordet werden, ist kein Raum für solche Diskussionen“, hieß es in einer Mitteilung. Verteidigungsminister Mofas rief am Nachmittag die Chefs der Sicherheitsdienste zu sich, um weitere Maßnahmen zu beraten. Der Likud-Abgeordnete Yuval Steinitz stellte die Vermutung an, das Attentat ziele darauf ab, „Israel zu beschämen und die Entlassung der 400 Terroristen zu einer doppelt peinlichen Affäre zu machen“.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat waren 400 politische Häftlinge im Rahmen des Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der Hisbollah freigelassen worden (siehe Text oben). Die nach Ramallah und Umgebung entlassenen Männer hieß Palästinenserpräsident Jassir Arafat in einer offiziellen Zeremonie in der Muqataa, seinem Amtssitz, willkommen.

Der Likud-Abgeordnete Ehud Yatom sieht das Attentat als „Antwort [Hisbollah-Chef Hassan] Nasrallahs, Arafats und [Hamas-Chef] Scheich Jassins auf die israelische Schwäche, die mit der massiven Entlassung von Häftlingen einmal deutlich wurde“. SUSANNE KNAUL