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Archiv-Artikel

Die Hisbollah zu Gast am Rhein

Nach jahrelanger deutscher Vermittlung lässt Israel über 400 Gefangene frei – im Austausch gegen drei Leichen und einen Geschäftsmann

VON ANDREAS SPANNBAUER

Die Boeing 707 startete gegen drei Uhr mitteleuropäischer Zeit in der Negev-Wüste. An Bord der israelischen Luftwaffenmaschine befand sich eine illustre Gesellschaft: der Deutsche Steven Smyrek, wegen Planung eines Selbstmordanschlags in Israel zu zehn Jahren Haft verurteilt, und rund dreißig Kämpfer der proiranischen Hisbollah, darunter die zwei Anführer Scheich Abdel Karim Obeid und Mustafa Dirani. Gegen sieben Uhr, eine Stunde vor Sonnenaufgang, setzte das Flugzeug auf der Landebahn des verschneiten Fliegerhorsts in Köln-Wahn auf. Wenige Minuten zuvor war ein Airbus der Bundesluftwaffe mit dem 58-jährigen Israeli Elhanan Tennenbaum und den Leichen dreier israelischer Soldaten gelandet. Feldjäger sperrten den militärischen Teil des Kölner Flughafens weiträumig ab.

Als wenig später israelische Mediziner mit einer DNA-Analyse die Identität der drei Leichen bestätigten, bestand kein Zweifel mehr: Der größte Austausch von Gefangenen zwischen Israel und der Hisbollah seit zwanzig Jahren war perfekt – und Deutschland hatte dabei eine führende Rolle gespielt. Jahrelang hatte der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, mit Israel, der Hisbollah und dem Iran um eine Einigung gekämpft. Nun willigten die Kontrahenten endlich in den Deal ein, der gestern auf deutschem Boden abgewickelt wurde.

Israel zahlt für die Operation „Himmelblau-Weiß“ einen hohen Preis, auch wenn manche der Ausgetauschten ohnehin kurz vor der Freilassung standen. Neben den ausgeflogenen Hisbollah-Aktivisten werden rund 400 weitere Häftlinge auf freien Fuß gesetzt. Das israelische Außenministerium fürchtet schon jetzt, dass viele der überwiegend palästinensischen Gefangenen „sehr schnell in den Kreislauf der Gewalt zurückkehren werden“. Und: Die militante Hisbollah hat Israel zu einem Zugeständnis gezwungen, von dem gemäßigte palästinensische Politiker nur träumen können. Möglich macht dies die Linie Israels, keine Gefangenen je aufzugeben – koste es, was es wolle.

Noch am Vormittag wurden die ersten palästinensischen Häftlinge in Bussen an die Grenze zum Westjordanland gefahren – und dort unter dem Jubel ihrer Familien freigelassen. Manche knieten nieder, als sie palästinensischen Boden betraten, andere zeigten das „Victory“-Zeichen. Auch die Leichen von 59 Hisbollah-Mitgliedern, die vor Tagen exhumiert worden waren, wurden von Israel an das Rote Kreuz übergeben.

Uhrlau nannte den Austausch in der ARD bedeutsam für Deutschland. Im Außenministerium spricht man von einem Zeichen für das „Vertrauen, das die Bundesrepublik Deutschland in der Region genießt“. Bald aber könnte Uhrlau vor einer sehr viel heikleren Aufgabe stehen. Er hat vor wenigen Tagen angekündigt, das Schicksal des verschollenen Luftwaffennavigators Ron Arad „innerhalb von zwei bis drei Monaten“ aufzuklären. Arad war 1986 über dem Libanon abgestürzt und dann verschleppt worden. Heute ist er der berühmteste Vermisste Israels. Die israelische Zeitung Haaretz spekulierte über einen Austausch von Arad gegen zwei Libanesen und einen Iraner, die in Deutschland in Haft sitzen. Sie zeichnen für den Mord an iranischen Dissidenten in dem griechischen Restaurant „Mykonos“ in Berlin verantwortlich. Israels Staatspräsident Mosche Katzav möchte für Arad „jeden Preis“ zahlen.

Tennenbaum, israelischer Geschäftsmann und Oberst der Reserve, wurde in Köln von seiner Familie empfangen. Er war während seiner Entführung schwer krank, konnte aber das Flugzeug ohne fremde Hilfe verlassen. Tennenbaum war vor drei Jahren verschleppt worden. Auf die Frage nach seiner Behandlung durch die Hisbollah sagte er: „Sehr gut, danke.“ Nach seiner Rückkehr nach Israel sollte er durch israelische Sicherheitskräfte vernommen werden – sie fürchten, er könnte Informationen preisgegeben haben.

Einen Haftbefehl gegen den Deutschen Smyrek („Es ist für uns eine Ehre, in den Tod zu gehen“) hatte die deutsche Staatsanwaltschaft schon vor Tagen aufgehoben. Trotzdem wollte der 32-jährige Braunschweiger, der zum Islam konvertiert ist und sich jetzt Abdel Karim („Der Großzügige“) nennt, zurück in den Libanon. Seine Mutter wurde vor kurzem mit dem Satz zitiert: „Ich habe Angst, wenn er rauskommt, was könnte er machen?“ Die Freigelassenen sollten am Abend in der libanesischen Hauptstadt Beirut landen.