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Archiv-Artikel

Ohne Recht kein Frieden

Benjamin Barber mischt sich engagiert in politische Debatten ein, ohne seine wissenschaftlichen Standards zu vergessen. Nun analysiert er die Neuordnung der Welt durch die USA klug und bissig

VON WARNFRIED DETTLING

Mit „Imperium der Angst“ hat der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin R. Barber einmal mehr ein politisch wichtiges und intellektuell brillantes Buch geschrieben. Es ist vieles zugleich: ein gescheites Pamphlet gegen die Bush-Regierung und deren Strategie vom Präventivkrieg; eine Analyse der neuen Realitäten in einer interdependenten Welt; eine normative und ideengeschichtliche Rekonstruktion der Prinzipien der liberalen Demokratie und des Völkerrechtes; nicht zuletzt ein Buch in praktischer Absicht, um das von ihm mitbegründete Projekt CivWorld, eine Bewegung für globale Demokratie, zu fördern: alles in allem ein furioses Buch, das einen anderen Blick auf die großen Themen der Zeit wirft.

Barber schreibt: „Obwohl die Vereinigten Staaten der Inbegriff der demokratischen Gesellschaft sind, handeln sie außenpolitisch oft mit einer plutokratischen Geringschätzung für die Anforderungen einer gerechten Weltordnung. So postulieren sie etwa eine dubiose „Achse des Bösen“, ignorieren jedoch gleichzeitig eine allzu offensichtliche „Achse der Ungleichheit“. Obwohl selbst eine modellhafte multikulturelle Gesellschaft, zeigen die Vereinigten Staaten wenig Verständnis für kulturelle Vielfalt und religiöse Heterogenität.“

Während die USA auf der einen Seite immer noch Diktatoren stützten, wenn die sich als Freunde Amerikas gebärdeten, würden sie gleichzeitig einem besiegten Gegner mit vorgehaltener Kanone die Demokratie aufzuzwingen. Und Barber fährt fort: „Sie neigen dazu, die Privatisierung der Märkte und eine entfesselte, zügellose Konsumkultur als Etappenziele auf dem Weg zur Demokratie zu betrachten, und glauben allen Ernstes, andere Völker könnten sich gleichsam über Nacht demokratisieren, indem sie amerikanische Institutionen einführen, deren Kultivierung in den Vereinigten Staaten selbst Jahrhunderte brauchte.“

Die gegenwärtige US-Außenpolitik, so Barber, „beruht auf einem mangelnden Verständnis der Interdependenz und ihrer Implikationen wie auch der Wesenszüge der Demokratie“ – und zwar ganz egal, ob sie auf Krieg oder auf Frieden aus ist, auf die Beseitigung von Tyrannenherrschaft oder die Errichtung der Demokratie. Kurz: „Die Angst des Imperiums erzeugt ein Imperium der Angst, das weder Freiheit noch Sicherheit fördert.“

Benjamin Barber hat sich ein Akademikerleben lang mit Fragen der internationalen Politik und der inneren Sicherheit beschäftigt, dieses Buch aber in kurzer Zeit und aus einem Guss geschrieben, als Präsident Bush mit seiner Doktrin Ernst machte und sich zum Krieg gegen den Irak rüstete: Es ist der Beitrag eines engagierten Wissenschaftlers in einer Zeit, zu einem Thema und in einem Land, da die meisten Politiker, Wissenschaftler und Intellektuellen lieber patriotisch schwiegen, auch der ein oder andere, der jetzt für die Demokraten Präsident werden will. Der Autor repräsentiert den auch bei uns seltenen Typus eines Wissenschaftlers, der sich engagiert einmischt (er war Berater von Präsident Clinton, unterstützt jetzt den Kandidaten Howard Dean), ohne wissenschaftliche Standards zu vergessen.

Zu alledem kann er auch noch gut schreiben, und er liebt es, seine Aussagen und das, worum es geht, auf klare Begriffe und in einfache, vielleicht zu einfache Alternativen zu bringen. „Pax Americana oder Präventivkrieg“, so analysiert er die Strategie der Bush-Administration, „einen weltweiten Frieden [zu schaffen], erzwungen von den Waffen der USA, ein Reich der Furcht, ausgerufen im guten Namen des Rechts.“ Dem setzt er seine Alternative entgegen, die „Lex Humana oder präventive Demokratie“, die er für sein Land und den Erdkreis entwirft, ganz allgemein eine gute innere und internationale Ordnung und ganz konkret die einzig erfolgreiche Strategie, um den Terrorismus langfristig mit Erfolg zu bekämpfen. „Es wird dem vorbeugenden Krieg letzten Endes nicht gelingen, dem Terrorismus vorzubeugen; nur die präventive Demokratie ist dazu in der Lage.“

Lex Humana und präventive Demokratie orientieren sich an einem universellen, in der Gleichartigkeit aller Menschen wurzelnden Recht. Sie arbeiten „auf eine globale Gemeinschaft im Rahmen universeller Rechte und Gesetze hin, autorisiert durch eine multilaterale Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft und Kultur – mit nur so viel gemeinschaftlichem militärischem Vorgehen, wie die legitimierten Instanzen der Gemeinschaft es beschließen, sei es im Kongress, in multilateralen Pakten oder durch die Vereinten Nationen.“

Ist Benjamin Barber ein liebenswerter Idealist, ansonsten aber nicht so recht von dieser Welt? So mag sich mancher fragen, wenn er dieses Buch gelesen hat. Doch liegt das an ihm oder am Wandel der Zeiten? Ohne Zweifel: Auch in diesem Buch, das die vorläufige Summe seines Denkens zieht, erweist sich Barber wieder als ein Denker, der noch einen emphatischen, einen leidenschaftlichen Begriff von Demokratie hat; als ein Kritiker des globalen Kapitalismus auch, der sich nicht scheut, die Anarchie der internationalen Märkte und die Anarchie des internationalen Terrorismus in einem Zusammenhang zu sehen. Und beides, ein starker Begriff von Demokratie wie eine intelligente Kapitalismuskritik, scheint ja langsam zu einer aussterbenden Spezies zu gehören.

Trotzdem könnte es ja sein, dass die romantischen Idealisten von heute in Wahrheit jene sind, die da glauben, Amerikas Macht und Herrlichkeit allein könne der Welt den Frieden bringen, die wahren Realisten aber jene, die heute darauf hinwiesen, dass eine nach völkerrechtlichen Grundsätzen funktionierende internationale Ordnung die beste Gewähr ist für einen dauerhaften Frieden. „Ohne Recht keinen Frieden“, so hat es der republikanische US-Präsident Eisenhower in den 1950er-Jahren einmal auf den Begriff gebracht, „und es kann kein Recht geben, wenn wir einen Verhaltenskodex für unsere Gegner aufstellen und einen anderen für unsere Freunde.“

Auch wenn man manches gerne etwas genauer gewusst hätte – Inwieweit verkörpert George W. Bush einen amerikanischen Sonderweg oder eben doch auch eine Tradition des Mainstream-Amerika? Präventive Demokratie kann dauern: Was tun angesichts schlimmer Despoten und Bürgerkriege in Ruanda, im Irak, in Exjugoslawien? Ist das Völkerrecht wirklich noch auf der Höhe der Zeit mitsamt ihren „asymmetrischen Kriegen“ (Herfried Münkler)? –, Benjamin Barber hat ein Buch geschrieben, das man jedem politisch Interessierten, aber auch jedem Außen- und Innenminister in die Hand drücken möchte, auf dass sie besser verstehen und klüger handeln.

Benjamin Barber: „Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt“. Übersetzung Karl Heinz Siber. 276 Seiten, C.H. Beck, München 2003, 19,90 €