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Archiv-Artikel

„Natürlich besorgt, da Israel näher dran ist“

Israelis und Juden in der Stadt kämpfen angesichts des Kriegsbeginns mit gemischten Gefühlen: Sorgen um die Risiken des Krieges teilen sie mit Ängsten um Verwandte und Freunde in Israel – und fast alle haben dort schon angerufen

Ruhig ist es in der Oranienburger Straße am ersten Tag des Krieges: Sechs Polizisten schieben Wache vor der Neuen Synagoge. Statt eines Räumpanzers wie noch lange Zeit nach dem 11. September 2001 steht nur ein einsamer Streifenwagen gegenüber dem Centrum Judaicum. Nein, sagt eine Polizistin mit Maschinengewehr: Das Personal sei nicht aufgestockt worden. Schließlich müsse man ja auch die Botschaften schützen. Vorgefallen sei an diesem Tage nichts: „Muss ja auch nicht sein.“

Wie immer, wenn es im Nahen Osten brennt, sind die Israelis und Juden der Hauptstadt betroffen: Für Nahost-Diktatoren und islamische Fundamentalisten im arabischen Raum sind sie immer mit schuld. Wie reagieren sie auf den Kriegsbeginn?

Der israelische Versicherungsvertreter Ilan Weiss (52) meint: Die hiesigen Israelis befürworteten den Angriff, da Saddam Hussein eine Bedrohung für ihre Heimat darstelle. Man sei froh, „dass es endlich losgegangen ist“. Zugleich sei er „natürlich bedrückt“, da man sich Sorgen um die Familie in Israel mache. Seine Schwester habe ihre Wohnung wegen möglicher Giftgasangriffe schon abgedichtet. Seine Mutter habe darauf verzichtet. Sie ist 74 Jahre alt.

Schai Levy (30), ein Kameramann, meint, die Israelis seien nicht so besorgt, da sie solche Situationen schon vom Golfkrieg vor zwölf Jahren kennten. Dennoch mache er sich Sorgen um seine Mutter in Jerusalem. Sie habe nun Freunde aus Tel Aviv aufgenommen, da Jerusalem als sicherer gelte. Alle befragten Israelis haben am Morgen zu Hause angerufen. Die Sicherheitsmaßnahmen für Israels Botschaft wurden verstärkt, bestätigt die Polizei. Eine 41-jährige Israelin zeigt sich erleichtert, dass es „endlich losgegangen“ sei: Ein „Stau“ bei Gefühlen und Investititionen sei nun aufgelöst werden, was gut sei – gleichgültig, wie man über den Krieg denke.

Ähnlich ambivalent äußern sich Juden in der Stadt. Der Gemeindevorsitzende Alexander Brenner sagt, dass natürlich jeder gegen den Krieg sei. Andererseits dürfe man „vom jüdischen und israelischen Standpunkt“ aus nicht vergessen, dass Iraks Diktator immer betont habe, Israel vernichten zu wollen. Deshalb sei man froh, wenn sein Regime beendet werde.

Mirjam Marcus (49) sagt, man sei als Jüdin „natürlich besorgt, da Israel näher dran ist“. Ihr falle ein Urteil schwer, da sie einerseits sehe, dass der Krieg „mit riesengroßen Risiken“ behaftet, andererseits Saddam Hussein eine klare Bedrohung sei. Sigmount Königsberg, der Schriftführer der Gemeinde, sagt, er sei „von sehr vielen Zweifeln geplagt“. Er könne den Krieg weder verurteilen noch begrüßen: „Es fällt mir selbst immer ein Gegenargument ein.“ Und: So viel Verständnis er für die nötigen Sicherheitsmaßnahmen habe, frage er sich, ob die Gemeinde nicht auch ihre „Offenheit bewahren“ müsse: „Das Nächste ist, dass wir uns einsperren.“

Personaldezernent Meir Piotrkowski bringt die Stimmung der Gemeinde so auf den Punkt: Es gebe eine gewisse Erleichterung, da man „mit dem Bestimmten besser umgehen kann als mit dem Ungewissen“. Sorgen machten sich die Gemeindemitglieder aber vor allem um die Kinder unter den Verwandten und Bekannten in Israel. Herrsche auch hier Angst? Angst nicht, sagt Piotrkowski, „eher Befürchtungen“: „Es ist unangenehm, auf dem Präsentierteller zu sitzen.“ PHILIPP GESSLER