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Archiv-Artikel

„Eine Meinung reingehaun“

Anfeindungen, Drohungen, schlechte Witze: Deutsche Austauschschüler in den USA leiden angeblich unter antideutschen Ressentiments, verkündete der „Spiegel“. Jetzt protestieren die zitierten Schüler

„Dass ich hierwie gewöhnlichbehandelt werde,wurde nicht erwähnt“

von HEIDE OESTREICH

„Ganz rüde Anmache“ lautet der Titel. Der Bericht zitiert deutsche Austauschschülerinnen, die sich über Anfeindungen durch ihre amerikanischen KlassenkameradInnen beklagten. Die USA brauchten Deutschland nicht und deshalb auch keine deutschen Schülerinnen, wird die Erfahrung einer Franziska zitiert. Andere berichteten davon, dass sie als Nazi beschimpft würden. Dass man ihnen gesagt habe, Deutschland solle man am besten gleich mit zerbomben. Der Kommentar der Spiegel-Autorin: „Fassungslos steht die die junge Kasselerin vor den Trümmern ihrer amerikanischen Traumwelt. Politische Intoleranz, blinder Front-Patriotismus, unkritische Medien, dumpfe Regierungsgläubigkeit statt der vielbeschworenen Freiheit des Denkens und Lebens“ – wie Franziska empfänden angeblich viele Deutsche in den USA. Meint die Autorin. Oder ihr Redakteur.

Die Deutschen in den USA meinen nämlich etwas anderes, zum Beispiel die zitierte Franziska Seidel: Die ihr zugeschriebenen Zitate, so beschwert sich Seidel per Leserinnenbrief an den Spiegel, stammten aus einem Schüleraustauschforum im Internet. Die Journalistin habe mit ihr keinen persönlichen Kontakt gehabt. Sie habe ihr keinesfalls die Erlaubnis gegeben, ihre Erfahrungen, ihren Namen und ihren Aufenthaltsort zu veröffentlichen. Ein Interview hätte sie sogar gern gegeben, so schreibt die Schülerin: allerdings um das ganze Spektrum ihrer Erfahrungen zu berichten und nicht nur einige spektakuläre Ausnahmen. Die „Mehrzahl der Leute hier behandelt mich als ganz normale Austauschschülerin, die nichts mit der derzeitigen politischen Situation zu tun hat“, stellt sie klar. Man darf gespannt sein, ob der Spiegel den Brief abdruckt.

Andere zitierte Schülerinnen haben inzwischen „Gegendarstellungen“ auf der Homepage ihrer Autauschorganisation „Taste“ veröffentlicht. „Ich habe den Spiegel als ein neutrales Magazin angesehen, was ich jetzt zurücknehme“, schreibt eine von ihnen. „Man hört ja immer wieder, dass amerikanische Zeitungen den Lesern eine Meinung reinhauen, was auch stimmt. Aber ich finde, dass der Spiegel nun nicht sehr viel besser war. Ich habe hier NULL Probleme und wurde nie angefeindet. Ganz im Gegenteil; wenn es Thema in der Schule ist (was so gut wie nie vorkommt) dann fragen mich die Lehrer ob es mir unangenehm ist, darüber zu reden, oder fragen mich nach meiner Meinung und hören mir auch zu, ohne nachfolgende Kommentare.“ Ansonsten sei sie in den USA „glücklich“. Auch andere Zitierte betonen, es sei nur die negative Hälfte ihrer Statements abgedruckt worden, „dass ich hier wie gewöhnlich behandelt werde, wurde nicht erwähnt“. Von „fassungslos“, von „Trümmern der Traumwelt“ – keine Rede.

Im Internetforum austauschschueler.de schlagen die Wellen hoch: Sie sollten presserechtlich gegen den Spiegel vorgehen, wird den SchülerInnen vorgeschlagen. Zu Dutzenden melden sich die USA-AustäuschlerInnen und betonen, dass die Amerikaner keinesfalls alle für den Krieg sind und schon gar nicht durchweg deutschenfeindlich: „Ich zum Beispiel bin auf einer fast 100 Prozent demokratischen Schule, das heißt, die meisten sind genauso gegen den Krieg wie ich“, schreibt einer. „Meine Gasteltern können Bush nicht ab und schalten sogar auf einen anderen Sender, wenn er im Fernsehen kommt“, berichtet ein anderer. „Ich bin grad in Iowa und mir is sowas noch nicht passiert, weil die meisten hier echt gegen den Krieg sind“, schreibt ein Dritter.

Der Spiegel nimmt die Anwürfe gelassen. Aus öffentlichen Foren im Internet zu zitieren ist selbstverständlich erlaubt. Die Kollegin habe sowohl mit SchülerInnen Kontakt gehabt als auch im Internet recherchiert, präzisiert der Ressortleiter Heiner Schimöller. Den Interviewten sei bekannt gewesen, dass es sich um eine Geschichte über Mobbing handle. „Der Tenor all dieser Gespräche war einhellig. Vielleicht haben die Schüler erst hinterher bemerkt, welche Wirkung ihre Worte haben“, so Schimöller. Wenn man sie entsprechend auswählt und anmoderiert, muss man wohl ergänzen. Live und in Farbe dürfen die SchülerInnen erleben, was es bedeutet, wenn aus komplexen Erfahrungen „Stories“ und „News“ gemacht werden.

Denn die Medienmaschine rollt: Dutzende von Journalistenanfragen erreichen die Organisationen, die Foren und die Schüler. Pikant allerdings, dass alle nur das eine wollen: Wenn das stimmt, was der Spiegel schreibt, hätten wir auch gern Kontakt zu euch. „Die heißen dann ‚Explosiv‘ oder so“, berichtet Hella Wistaedt, Geschäftsführerin von „Taste“, und wollen aber bitte nur Negatives hören. „Das ist fast schon geschäftsschädigend“, meint eine Kollegin von einer anderen Austauschorganisation, die mittlerweile nicht mehr genannt werden möchte. Mehrere besorgte Eltern hätten sich schon erkundigt, ob es gut sei, die Kinder jetzt in die USA zu schicken.

Hella Wistaedt sieht es gelassener: „Schlechte Schlagzeilen sind auch Werbung“, sagt sie schmunzelnd. Im Übrigen sei das Angebot amerikanischer Gastfamilien, deutsche Schüler aufzunehmen, seit dem Kriegskurs der USA eher gestiegen. „Jetzt tun wir erst recht etwas für die Völkerverständigung“, das sei der Tenor.

Weniger gelassen sehen die Schüler die verzerrte Ausbeutung ihrer Erfahrungen: „Ich kann aus eigener Erfahrung nur berichten, dass hier in den USA ganz und gar nicht antideutsche Stimmung herrscht“, schreibt einer auf die Anfrage eines Radiosenders, „damit habe ich mich als Gesprächspartner disqualifiziert?“ Gegenseitig geben sie sich mittlerweile den Rat: „Ich bin dafür, dass du diese ganzen Scheiß- (sorry, is aber so!!)Journalisten ignorierst.“

PS: Das Schwestermedium Spiegel online hat ebenfalls entdeckt, dass die Emotionen nach dem „Spiegel“-Artikel hochkochten und stellte einen Folgeartikel ins Netz. Tenor: Manche Jugendliche werden in den USA angefeindet, andere dagegen sogar für die Haltung Deutschlands gelobt. Ausgewogen, sozusagen.