: „Wir befinden uns im Krieg“
Kriegsvorbereitungen sind Geheimsache. Normalerweise. Der Vorlauf zu dem Angriff auf den Irak war eine öffentliche Angelegenheit. Zunächst über den Umweg regierungsnaher Berater und vieldeutige Andeutungen von Regierungsmitgliedern gewöhnten die Kriegsbefürworter die internationale Öffentlichkeit langsam an die Vorstellung eines bevorstehenden Krieges.
„Die gegenwärtige amerikanische Politik gegenüber Irak ist nicht erfolgreich. (…) Kurzfristig bedeutet dies, bereit zu sein, militärische Aktionen zu ergreifen, da Diplomatie eindeutig scheitert. Langfristig bedeutet dies, Saddam Hussein und sein Regime von der Macht zu beseitigen. Dies muss jetzt ein Ziel amerikanischer Außenpolitik werden.“ Project for the New American Century, Brief an Präsident Bill Clinton, 26. Januar 1998
Die mehr als vier Jahre zurückliegende Aufforderung zum kriegerischen Regimewechsel war nicht die Initiative irgendeiner irrelevanten Lobbygruppe. Die Unterzeichner gehörten zur Crème de la Crème konservativer Außenpolitiker, die sich in dem Zirkel „Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert“ auf ihre Rückkehr an die Macht vorbereiteten. Der heutige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz machten mit dem Brief an Clinton schon lange vor ihrem Wiederaufstieg an die Macht ihre Ziele öffentlich. Auch Zalmay Khalilzad, den Bush zu seinem Sonderbeauftragten für Afghanistan und Irak ernennen sollte, gehörte zu den Unterzeichnern, ebenso John Bolton, inzwischen Staatssekretär für Rüstungskontrolle im Außenministerium, und Richard Armitage, stellvertretender Außenminister. Auch Richard Perle, inzwischen einer der führenden Pentagon-Berater und treibende Kraft hinter einem Irakkrieg, gehörte zu den Unterzeichnern. Schon bald konnte die Gruppe einen ersten Erfolg verbuchen. Im September 1998 erklärt der US-Kongress einen Regimewechsel im Irak zur offiziellen Politik der USA. Drei Monate später lässt Präsident Bill Clinton in der so genannten Operation „Desert Fox“ vier Tage lang den Irak bombardieren.
„Jede Nation in jeder Region muss jetzt eine Entscheidung treffen. Entweder ihr seid auf unserer Seite oder ihr seid auf der Seite der Terroristen.“ Präsident George W. Bush, State of the Union, 20. September 2001
Neun Tage nach den Anschlägen vom 11. September kündigt der Präsident einen langen Krieg gegen den Terror an. Vom Irak spricht der Präsident nicht. Um die Unterstützung für den Krieg in Afghanistan nicht zu gefährden, werden auch die Hardliner in seiner Regierung gedrängt, sich mit öffentlichen Äußerungen zunächst noch zurückzuhalten.
„Wenn Saddam Hussein nicht besiegt würde, wäre der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ein Fehlschlag. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir sein Regime bestehen lassen.“ Richard Perle, Interview mit dem „Spiegel“, 22. Oktober 2001
Richard Perle ist formell nur Berater des Pentagon und nicht durch ein Regierungsamt eingeengt. Dem Spiegel erzählt Perle wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September freimütig, dass Irak als Nächstes auf der Liste steht. Außenpolitische Experten mussten wissen, wie ernst die Stimme Perles zu nehmen ist: Als Vorsitzender des Defense Policy Board ist er einer der wichtigsten Zuarbeiter von Verteidigungsminister Rumsfeld.
„Wer einen Terroristen ernährt, ist selbst ein Terrorist. Wer Massenvernichtungswaffen entwickelt, um damit die Welt zu terrorisieren, wird dafür zur Rechenschaft gezogen.“ Präsident George W. Bush, Washington, 28. November 2001
Erstmals nennt der US-Präsident Staaten, die Terroristen unterstützen, und solche, die Massenvernichtungswaffen herstellen, in einem Atemzug. Zweieinhalb Monate nach den Anschlägen auf New York und Washington – der Krieg in Afghanistan ist zu diesem Zeitpunkt noch im vollen Gange – macht Bush unmissverständlich deutlich, dass er den so genannten Krieg gegen den Terror ausdehnen wird.
„Staaten wie [Nordkorea, Iran und Irak] und ihre terroristischen Verbündeten stellen eine Achse des Bösen dar.“ Präsident George W. Bush, Ansprache im US-Kongress, 29. Januar 2002
In der alljährlichen, meistbeachteten Rede des US-Präsidenten macht jetzt auch Bush selbst deutlich, was er als die nächsten Ziele im Krieg gegen den Terror betrachtet. Angelehnt an das Bild vom „Reich des Bösen“, einst von Reagan für die Sowjetunion genutzt, erklärt Bush gleich drei Staaten zur neuen Bedrohung für die USA und die Menschheit. Je ein kurzer Satz gilt Nordkorea und dem Iran. Dem Irak widmet der Präsident gleich fünf lange Sätze.
„Wir befinden uns im Krieg. Selbstverteidigung erfordert manchmal Prävention.“ Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, Münchener Sicherheitskonferenz, 2. Februar 2002
Wolfowitz wirbt auf der Sicherheitskonferenz in München kaum verhohlen für einen Angriff auf den Irak. Auch wenn Wolfowitz als Regierungsmitglied den Namen des anzugreifenden Landes zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausspricht, muss jeder der anwesenden europäischen Minister wissen, wem die Drohung mit dem angeblich vorbeugenden Krieg gelten soll.
„Wir erwägen alle Optionen mit Blick auf einen Regimewechsel im Irak.“ Außenminister Colin Powell, Senatsausschuss für Haushaltsangelegenheiten, 12. Februar 2002
In Washington mehren sich die Anzeichen für einen Krieg. Auch Außenminister Colin Powell, dem im Bush-Kabinett die Rolle des gemäßigten Counterparts zu den Falken Rumsfeld, Cheney und Wolfowitz zugeschrieben wird, schließt einen Angriff auf Irak nicht mehr aus und erklärt, man könne nicht Frieden finden, „indem man den Kopf in den Sand steckt und das Böse ignoriert“.
„Es gibt überhaupt keine Grundlage im Völkerrecht, warum die USA sich nicht der Position von Saddam Hussein anschließen sollten, dass der Golfkrieg noch nicht vorbei ist.“ James Woolsey, CIA-Direktor von 1993 bis 1994, Interview mit der taz, 22. Mai 2002
Wenige Tage vor dem Bush-Besuch in Berlin sagt der ehemalige CIA-Direktor Woolsey im Gespräch mit der taz, was der Präsident in seiner Rede vor dem Bundestag noch nicht sagen darf. Ein Krieg gegen den Irak wird kommen, so Woolsey, wie Perle Mitglied im einflussreichen Defense Policy Board: „je schneller, desto besser“.
„Das Verhalten des irakischen Regimes ist eine Bedrohung für die Autorität der Vereinten Nationen und für den Frieden. (…) Die ganze Welt steht nun vor einem Test und die UN vor einem entscheidenden Moment. Müssen Sicherheitsratsresolutionen geachtet und durchgesetzt werden oder sollen sie ohne Konsequenz beiseite geschoben werden? (…) Werden die Vereinten Nationen der Bestimmung ihrer Gründung gerecht oder werden sie irrelevant?“ Präsident George W. Bush, vor der UN-Generalversammlung in New York, 12. September 2002
Ein Jahr nach den Terroranschlägen von New York und Washington spricht Bush in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung fast ausschließlich zum Irak. Die al-Qaida, wenige Monate zuvor noch Platzhalter für alle Gefahren dieser Welt, taucht in der Rede nur im Zusammenhang mit Bagdad auf: der Präsident unterstellt dem Irak, das Netzwerk zu unterstützen. Bush kündigt an, nun doch den Sicherheitsrat mit dem Thema Irak zu befassen statt sofort einseitig zu handeln. Doch das vermeintliche Angebot an die Vereinten Nationen ist auch eine Drohung: Entweder der Sicherheitsrat handelt im Sinne der US-Politik oder seine Regierung werde ihn nicht mehr ernst nehmen. Mit den weitreichenden Forderungen an den Irak und den Sicherheitsrat hat sich Bush festgelegt. Kompromisslinien sind nicht vorgezeichnet.
„Die Vereinigten Staaten werden gegebenenfalls präventiv handeln, um solche feindlichen Akte unserer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen.“ Nationale Sicherheitsstrategie, unterzeichnet von Präsident George W. Bush, vorgelegt am 17. September 2002
Mit der Vorlage des Dokuments wird der Präventivkrieg – der vorbeugende Angriffskrieg – zur offiziellen Politik der USA. Das von Präsident Bush persönlich unterzeichnete Papier legt die außen- und militärpolitische Doktrin der Regierung fest: ein Angriff auf den Irak entspricht ab jetzt der offiziellen Politik der USA. Ausdrücklich erklärt die Bush-Regierung darin, dass sie sich auch dann das Recht auf Präventivkriege vorbehält, wenn dafür kein Mandat des UN-Sicherheitsrats vorliegt. Mit der Vorlage des Dokuments hat sich die US-Regierung gleichzeitig ein neues Motiv für einen Irakkrieg geschaffen: ein Präzedenzfall muss geschaffen werden.
„Das Spiel ist aus. Die ganze Welt kann diesem Augenblick entgegensehen. Die Gemeinschaft freier Staaten kann zeigen, dass sie stark, zuversichtlich und entschlossen ist, den Frieden zu wahren. Saddam Hussein wird gestoppt werden.“ Präsident George W. Bush, Stellungnahme im Beisein von Außenminister Colin Powell, Weißes Haus, 6. Februar 2003
Auf die wachsende internationale Kritik an seinem Kurs in Richtung Irak reagiert der Präsident mit einer kaum noch relativierten Festlegung auf einen Angriff. Um bevorstehenden Zugeständnissen des Irak zuvorzukommen, spricht der Präsident zudem von absehbaren Tricks des Irak in letzter Minute. Sprachlich ist Bush mittlerweile auf dem Niveau von Videospielen angelangt: „The Game is over.“
„Der UN-Sicherheitsrat hat sich seiner Verantwortung nicht gestellt, also werden wir uns der unsrigen stellen. (…) All die Jahrzehnte der Täuschung und der Grausamkeit haben ihr Ende erreicht. Saddam Hussein und seine Söhne müssen Irak binnen 48 Stunden verlassen. Weigern sie sich, dann wird dies zu einem militärischen Konflikt führen, zu einem Zeitpunkt unserer Wahl. Zu ihrer eigenen Sicherheit sollten alle ausländischen Staatsbürger, einschließlich Journalisten und Inspekteure, Irak sofort verlassen.“ Präsident George W. Bush, Weißes Haus, 17. März 2003
Nachdem sich eine Abstimmungsniederlage im UN-Sicherheitsrat abzeichnet, zieht die US-Regierung ihren Entwurf für eine den Krieg legitimierende Resolution zurück. Bush stellt ein Ultimatum, das keine Aussicht hat, von der irakischen Führung erfüllt zu werden. Der Präsident hat sich für Krieg entschieden. Der Rest der Welt wartet auf die Nachricht von den ersten Bomben.