: Mit Schulbrot und Gasmaske
Die israelische Bevölkerung richtet sich auf mögliche irakische Angriffe ein
JERUSALEM taz ■ „Glaub mir, die Maske ist bis zum Jahr 2008 tauglich.“ Der Soldat an der Gasmaskenausgabestelle im dritten Stock eines Warenhauses ist kurz davor, seine Geduld zu verlieren. Vor ihm stehen zwei rumänische Gastarbeiter, die in fast fließendem Hebräisch ihre Zweifel hervorbringen. Medienberichte hatten enthüllt, dass die Armee an Ausländer mangelhafte Schutzausrüstungen verteile. Die beiden Rumänen geben sich schließlich mit den Erklärungen des Soldaten zufrieden und ziehen murrend mit den Kartons, die je eine Maske und eine Atropinspritze beinhalten, ab.
Alle Nichtisraelis müssen 200 Schekel (40 Euro) pro Maske bezahlen, von denen sie bei Rückgabe die Hälfte erstattet bekommen. An der Ausgabestelle für die Ausländer ist deutlich weniger Betrieb als an den Tauschstellen für Israelis. „Ich stehe seit dreieinhalb Stunden hier“, jammert der 45 Jahre alte Avner, der unter jedem Arm zwei der Kartons hält. „Wenn es nach mir ginge, wäre ich nicht hier“, meint er, „aber mein Sohn wird langsam nervös.“ Immer mehr Leute reihen sich in die Schlange vor der provisorisch in einem Einkaufszentrum errichteten Station mit einem Klapptisch, hinter dem Berge der Pappkartons sowie die blauen Plastikkisten mit der Schutzausrüstung für Kleinkinder gestapelt sind.
Der Abgeordnete Chaim Ramon (Arbeitspartei) nannte die staatlichen Maßnahmen „vollkommen unproportional“ und bedauerte, dass das „vergeudete Geld“ für die Vorsorgemaßnahmen nicht sinnvoller genutzt wurde. Tatsächlich glaubt auch Premierminister Ariel Scharon, dass die Chancen, das der Irak Israel angegreift, „1:100 stehen“. Dessen ungeachtet unternahm die Luftwaffe, Fernsehberichten zufolge, bereits Anfang des Jahres Aufklärungsflüge über dem westlichen Irak, wo die Scud-Abschussrampen vermutet werden. Das israelische Raketenabwehrsystem ist in den vergangenen zwölf Jahren modernisiert worden. Vor allem im Großraum Tel Aviv stationierten die Militärs die Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot, die zum Teil auch von der deutschen Bundeswehr zur Verfügung gestellt wurden.
Das so genannte Heimatfrontkommando rief am Mittwoch die Bevölkerung dazu auf, mindestens ein Zimmer in der Wohnung mit Plastikplanen und Klebestreifen abzudichten. Zahlreiche Geschäfte für Heimwerkerbedarf bleiben seither rund um die Uhr geöffnet. Schon Tage bevor die US-amerikanische Offensive überhaupt startete, erstickten drei Menschen in einem israelisch-arabischen Dorf, weil ein offenes Feuer im Kamin die Luft in dem versiegelten Zimmer verbrauchte. Ein trauriges Déjà-vu – während des Krieges vor zwölf Jahren starben mehrere äthiopische Einwanderer an Erstickung. Sie hatten die im Hörfunk verbreiteten Verhaltensmaßnahmen nicht verstanden.
In Jerusalem befolgten nur wenige Israelis die militärische Anweisung, das Haus ab sofort nicht mehr ohne Gasmasken zu verlassen. Nur die Kinder mussten ihre Schutzausrüstungen mit in die Schulen und Kindergärten bringen, wollten sie nicht riskieren, gleich wieder nach Hause geschickt zu werden. Umfragen der auflagenstärksten Tageszeitung Jediot Achronot zufolge, rechnet ein Viertel der Israelis nicht mit einem Angriff und ignoriert die militärischen Anweisungen. 16 Prozent der Bevölkerung in Tel Aviv, wo während des letzten Krieges die meisten irakischen Raketen einschlugen, wollen die Stadt verlassen. In Tel Aviv blieben gestern viele Schüler zuhause. Vor allem in Ramat Gan, dem Viertel, das vor zwölf Jahren wiederholt beschossen wurde, fanden sich nur rund ein Fünftel der Schüler zum Unterricht ein, obschon das Erziehungsministerium dazu aufgerufen hatte, die Alltagsroutine nicht zu brechen. SUSANNE KNAUL