Schräge Literatur

Eine regelrechte Schwemme an „skeiv litteratur“ (Norwegisch für „schräge Literatur“), Büchern von und über Schwule und Lesben, bilanzierte die Tageszeitung Dagbladet schon im Sommer vorigen Jahres als eines der auffallendsten Kennzeichen der norwegischen Literatur zum Ende der Neunzigerjahre.

Der Bücherherbst 2001 war von der gleichen Zeitung zum „skeiv bokhöst“ ernannt worden, weil gleich mehrere Fachbücher zur Homoforschung erschienen waren. Knut Olav Åmås, Redakteur der Zeitschrift Samtiden, glaubt, die Verlage hätten erkannt, dass sich mit dem Thema Geld verdienen lässt: „Die Gesellschaft ist toleranter gegenüber Homosexualität geworden, deshalb gibt es auch einen Markt für solche Literatur.“ Wichtig für den „Homokampf“ hält er diese norwegische Literatur jedoch nicht. Mit zwei Ausnahmen: Gert Brantenberg („Die Töchter Egalias“) und Gudmund Vindland („Der Irrläufer“). Åmås ist „glücklich, dass wir aufbauende Literatur kaum hatten“, da diese „voraussehbar“ sei: „Was man sich wünscht, ist Literatur, die Homosexualität als etwas Natürliches zusammen mit anderen Themen enthält.“ Sein Musterbeispiel: Thomas Manns „Tod in Venedig“.

Anne Holt, ehemals Journalistin und Polizistin, zeitweise Polizeichefin von Oslo und Justizministerin Norwegens, jetzt Anwältin und Schriftstellerin, ist ein Symbol lesbischer Literatur geworden – gegen ihren Willen. Auch zum Missfallen vieler „homser“ und „lesber“ (wie sich Homosexuelle in Norwegen selbst nennen) weigert sie sich, öffentlich zum Thema Lesbischsein Auskunft zu geben.

1999 heiratete sie die Publizistin und Verlegerin Tine Kjaer – um Presserummel zu vermeiden, gaben sie sich ihr Jawort in norwegischen Botschaft Schwedens. Holt könnte eine der ersten Lesben werden, deren Antrag auf Adoption des neugeborenen Kindes ihrer Partnerin genehmigt wird.

Nicht nur mit der seit 2002 möglichen Adoption für lesbische und schwule Paare hat sich Norwegen an die Spitze der Länder mit weitgehender gesetzlicher Gleichbehandlung Homo- und Heterosexueller gestellt. 1992 hatte man als zweites Land hinter Dänemark die Möglichkeit der „registrierten Partnerschaft“ eingeführt.

Die Liberalisierung hatte früh begonnen: Bereits 1981 führte Norwegen als erstes Land der Welt einen besonderen strafrechtlichen Schutz vor Diskriminierung für Homosexuelle ein. Erstaunlich für ein Land, das erst 1972 die Kriminalisierung männlicher Homosexualität aufgehoben hatte.

Weibliche Homosexualität war nie strafbar, da dem Gesetzgeber im Jahre 1902 unvorstellbar schien, dass Frauen sexuell aneinander Gefallen finden können. „Geschlechtlicher Umgang zwischen Frauen“, fragte der damalige Justizminister, „hat jemand schon so etwas gehört?“

In der „skeiven“ Szene selbst, beispielsweise bei der Interessenorganisation „Landsforeningen for Lesbisk og Homofil Frigjøring“, wird der neue Buchklub Kursiv begrüßt. Im Nachbarland Schweden wird schon über ein Pendant nachgedacht.

Eine Reihe AutorInnen auf Rosa Internetseiten fragen hingegen skeptischer, ob der Hauptzweck von Kursiv etwa sei, bequem an „pink money“ zu kommen.REINHARD WOLFF