Ohne Hanne und Anne

In Norwegen hat sich ein Buchklub gegründet, der ausschließlich homosexuelle Literatur fördern will. Anne Holt, bekannte lesbische Starautorin, lehnt das Konzept strikt ab

von REINHARD WOLF

„Das ist eine Niederlage für die Literatur und eine Niederlage für uns, die wir es für wichtig halten, uns offen zu unserer Homosexualität zu bekennen.“ Ein Spruch mit Folgen für einen kleinen Buchklub, denn er stammt von einer der populärsten Autorinnen Norwegens – von der auch in Deutschland bekannten Anne Holt.

Die Schriftstellerin und ehemalige Justizministerin Norwegens wird ihre Krimis mit der lesbischen Kriminalkommissarin Hanne Wilhelmsen als Hauptperson nicht in einem neuen Buchklub vertreiben lassen, der sich auf homosexuelle Kundschaft spezialisiert hat: „Es gibt gute oder schlechte Literatur. Und ich finde es unsinnig, Literatur nach sexueller Veranlagung einzuteilen.“

Ein herber Schlag für den De Norske Bokklubbene, der ein Nischenprojekt gestartet hatte: den Buchklub Kursiv. Die simple Idee: Nach Buchklubs für Kinder, Geschichtsinteressierte und Weinkenner sollte eine Sparte für skeiv, für Literatur von und für Homosexuelle etabliert werden.

Marktuntersuchungen haben angeblich einen Wunsch nach dieser Nische aufgedeckt. Was angesichts des kleinen norwegischen Markts – viereinhalb Millionen Menschen – verwundert. Aber die Nischenerfinder sind zuversichtlich, zumal Buchklubsprecher Terje Kolstad betont, dass es bislang vor allem an Übersetzungen in skandinavische Sprachen mangelt: „Es gibt sehr viele Klassiker auf diesem Gebiet, die bislang nicht übersetzt worden sind.“

Brita Møystad Engseth, Kulturredakteurin bei der sozialdemokratischen Tageszeitung Dagsavisen, stimmt dem Projekt generell zu: „Gerade in den englischsprachigen Ländern mit ihren vielen Verlagen, die sich auf homosexuelle Literatur spezialisiert haben, gibt es enorm viele Bücher von und für Lesben und Schwule.“ Viele von diesen seien wichtige Erfahrungsromane, die man mit Gewinn lesen könne, „gleich, ob man schon lange aus dem Schrank heraus ist oder noch ganz tief drin steckt“.

Neben den „Klassikern“ gebe es da vieles, was übersetzt werden sollte. Doch Engseth warnt auch: „Es gibt eine regelrechte Schwemme unglaublich schlechter Homoliteratur. Wenn ich daran denke, was ich an Lesbenromanen in die Finger bekommen habe, als ich vor siebzehn Jahren mein eigenes Coming-out hatte – da treibt es mir noch jetzt die Schamröte ins Gesicht.“

Gerade diese Erfahrung lässt sie die Idee eines speziellen Homobuchklubs „alles andere als dumm“ finden: „Es geht darum, sich nicht mehr allein zu fühlen, Hilfe zu bekommen, eine Sprache zu finden. Man hat ja ein so großes Bedürfnis etwas zu lesen, was mit einem selbst zu tun hat, gleich welche Qualität es hat.“ Warum solle man nicht wenigstens probieren, Literatur zugänglich zu machen? Zumal die LeserInnen doch selbst entscheiden können, was taugt und was nicht.

Genau dies sei die Absicht, sagte Kari Møller vom Bokklubbene in einem Interview mit dem Dagbladet: „Außerdem wollen wir norwegische Verfasser inspirieren, zu diesem Thema zu schreiben. Diese Gruppe verdient eine Chance. Es gibt zu wenig Literatur mit Happyend für Homosexuelle.“

Eben dies skizziert den Grund, weshalb Anne Holt, Norwegens bekannteste lesbische Autorin, das Grausen bekommt: „Wenn etwas bisher nicht übersetzt wurde, dann, weil es eben nicht gut genug ist. Es wäre erniedrigend, wenn jemand meine Bücher unter so einem Motto verkaufen würde. Ich will meine Bücher als gute, nicht als lesbische Literatur verkaufen. Ich will nicht in irgendeine Richtung beeinflussen.“ Anne Holt befürchtet nicht nur, als lesbische Autorin (wenn auch positiv) stigmatisiert zu werden.

Ebenso findet sie unbehaglich, dass der neue Buchklub eine Linie dessen, was „homopolitisch korrekte Literatur“ sei, vorgeben könnte: aufbauende Literatur, um Schwulen und Lesben mehr Selbstbewusstsein zu geben. Nein sagt Leif Terje Bjerke, Redakteur des Buchklubs Kursiv, Holt liege falsch. Wenn man dazu beitragen könne, dass es dem einen oder der anderen leichter falle, sich als schwul oder lesbisch zu bekennen, „dann sind wir zufrieden mit uns“.

Vorsichtshalber werde der Postversand aber so gehandhabt, dass Umschläge und Päckchen weder für einen neugierigen Briefträger noch ein (unwissendes) Familienmitglied irgendeinen Hinweis auf den „kursiven“ Absender erkennen ließen. Wobei Bjerke einschränkt: „Falls man nicht signalisiert, dass einen das nicht stört.“ „Gerade das Gespräch über ein Buch kann ein Coming-out für alle Beteiligten leichter machen“, sieht Brita Møystad Engseth eine weitere wichtige Möglichkeit des Buchklubs: „Eltern, Geschwister und Freunde können über Literatur besser Zugang zu etwas finden, das vielen von ihnen auf den ersten Blick unheimlich oder peinlich erscheint.“

Auch andere homosexuelle VerfasserInnen haben sich in der norwegischen Debatte zu Wort gemeldet, um die Möglichkeiten der „Kursiv“-Initiative hervorzuheben. Die meisten können Anne Holts ablehnende Meinung nicht nachvollziehen. Pernille Rygg ist begeistert von der neuen Vermarktungsmöglichkeit: Anne Holt sei bekannt, ihre Bücher bräuchten solche Kanäle nicht. Aber für andere könnte der neue Klub eine Möglichkeit sein, ihre Bücher überhaupt erst veröffentlichen zu können.

Rygg wäre stolz, würden ihre Bücher („Der Schmetterlingseffekt“, „Der Liebesentzug“) auch im neuen Buchklub angeboten: „Mit einem solchen Klub schafft man auch für alle, welche ganz speziell nach guter schwuler oder lesbischer Literatur suchen, eine Möglichkeit, fündig zu werden.“

Zwar sei sie eigentlich ja prinzipiell auch gegen solcherart Nischenliteratur. Aber vielleicht könne diese Initiative dazu beitragen, dass schwule und lesbische Literatur gerade aus ihrem Nischensegment herauskomme: „Und gleichzeitig vielleicht am besten das gesamte Homomilieu.“

Holt findet es unsinnig, erst eine neue Nische zu schaffen, wenn man doch gerade aus dieser heraus wolle: „Literatur kann das Bewusstsein erweitern. Literatur kann helfen, eine bestimmte Haltung einzunehmen. Aber ich halte sie nicht für wichtig für den Homosektor. Wenn immer mehr Schwule und Lesben in Büchern und Filmen auftauchen, dann nicht, weil sie schwul oder lesbisch sind.“ Wobei der Starautorin nicht daran gelegen ist, Lesbisches aus ihrem Schreiben fernzuhalten: Dieser Tage erscheint eine deutsche Übersetzung („Mea culpa“, Orlanda-Verlag, Berlin 2003) eines lesbischen Entwicklungsromans. Thema: Schuld in der Liebe.

So oder so: Literatur und Kino, ist Holt sich sicher, schlitterten einfach der Realität hinterher. Sie bekomme jede Woche viele Briefe von LeserInnen ihrer Bücher, „aber keiner handelt davon, dass Hanne Wilhelmsen lesbisch ist“: „Viele junge Lesben sehen mich als eine Art Vorbild. Sie finden es offenbar positiv, wie ich mich für soziale Probleme wie die Situation der Kinder oder die EU-Frage engagiere und wie ich mein Privatleben abschirme.“

Deshalb Vorbild zu sein, mache sie stolz. Die Frontfigur im Homokampf zu geben? „Nein!“

REINHARD WOLFF, Jahrgang 1948, taz-Korrespondent in Skandinavien, lebt bei Stockholm