: Schröder droht kein Knast
Generalbundesanwalt Kay Nehm sieht keinen Anfangsverdacht der Mitvorbereitung eines Angriffskriegs
von CHRISTIAN RATH
Es wird keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen Bundeskanzler Schröder oder andere Regierungsmitglieder geben. Dies erklärte gestern Generalbundesanwalt Kay Nehm nach monatelanger Prüfung von inzwischen 120 Strafanzeigen. Es gebe keinen „Anfangsverdacht“ der Täterschaft oder Teilnahme am Verbrechen der Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Im Ergebnis dürfte diese Nachricht niemand überraschen. Kay Nehm ist politischer Beamter. Niemand hat von ihm erwartet, dass er sich zur Speerspitze der Friedensbewegung macht, dass er ausgerechnet eine Regierung, die sich in vielerlei Hinsicht dem Krieg entgegengestellt hat, nun wegen Friedensverletzung verfolgt. Gespannt war man allerdings darauf, wie er die Ablehnung von Ermittlungen begründen würde. Immerhin hat Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten für den Irakkrieg ohne jede Bedingungen Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewährt. Und das, obwohl fast alle deutschen Völkerrechtler den US-Angriff auf den Irak für völkerrechtswidrig halten.
Nehm hat sich nun relativ elegant aus der Affäre gezogen. Er hat überzeugend begründet, warum Strafbarkeit nach Paragraf 80 des Strafgesetzbuches („Vorbereitung eines Angriffskriegs“) nicht in Betracht kommt. Zugleich hat er aber der Bundesregierung auch keinen Persilschein im Hinblick auf das Völkerrecht ausgestellt. Zum konkreten US-Angriff auf den Irak nimmt Nehm in seiner 7-seitigen Erklärung nicht Stellung. Berlin kann nun keinesfalls behaupten, der Generalbundesanwalt hätte die Überflugrechte abgesegnet.
„Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“ Diese Bestimmung des Strafgesetzbuchs hat Nehm gestern schulmäßig ausgelegt. So sei der Irakkrieg kein Krieg, an dem Deutschland „beteiligt“ sei. Der Bundeskanzler habe mehrfach erklärt, dass sich Deutschland dem Militärschlag verweigere. Mit Blick auf die Überflugrechte betonte Nehm weiter, dass die „Nichtverhinderung von Angriffshandlungen“ nicht nach Paragraf 80 strafbar sei. Angesichts der massiven Strafdrohung könnten „bloße Duldungs- oder Unterlassungshandlungen“ hier nicht gemeint sein, erforderlich sei eine „Tat von Gewicht“.
Auch die „Gefahr eines Krieges“ für Deutschland werde durch die Gewährung von Überflugrechten nicht erhöht. „Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Staat besteht nicht“, postuliert Nehm. Auf den Krieg zwischen den USA und dem Irak komme es bei seiner Prüfung nicht an.
Nehm räumte jedoch ein, dass das Strafgesetzbuch in mehreren Punkten hinter den Vorgaben des Grundgesetzes zurückbleibe. In Artikel 26 der Verfassung heißt es: „Handlungen, die geeignet sind, und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfasungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Ein Einschränkung auf Kriege mit deutscher Beteiligung sei nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Für die Strafbarkeit konkreter Handlungen komme es aber nicht auf die Verfassung, sondern auf das Strafgesetzbuch an.
Und dann erinnert Nehm an die Diskussionen im Bundestag, als Paragraf 80 im Jahr 1969 nachträglich ins Strafgesetzbuch eingeführt wurde. Schon zwanzig Jahre sei damals der Verfassungsauftrag, eine solche Strafvorschrift zu schaffen, unerfüllt gewesen. Angesichts der auch damals schon bestehenden völkerrechtlichen Schwierigkeiten, einen Angriffskrieg zu definieren, habe man das Vorhaben immer weiter hinausgezögert. Um aber klarzustellen, dass das Verhalten ausländischer Staaten nicht am deutschen Strafrecht zu messen ist, hat man sich für eine „nicht vollständige“ Umsetzung des Verfassungsauftrages entschieden. Man wollte damals explizit ausschließen, dass etwa der US-Präsident wegen des Vietnamkriegs vor ein deutsches Gericht gestellt werden könnte. Damit hat Nehm implizit klargestellt, dass auch der heutige US-Präsident und seine Militärführer von deutschen Strafgerichten nichts zu befürchten haben.
Nehm ließ nur eine Frage offen: Ist ein völkerrechtlich nicht gerechtfertigter Krieg nicht zugleich auch Mord oder sogar Völkermord? Hier gälte die Einschränkung auf deutsche Kriege nicht. Als Beihilfe kämen auch kleinere Tatbeiträge in Betracht.