EU und USA warnen Türkei vor Irak-Einmarsch

Für die Entsendung von Truppen in den Nordirak hat Ankara viele Gründe. Zunächst geht es darum zu verhindern, dass Flüchtlinge die Grenze zur Türkei überschreiten. Im Hintergrund steht jedoch der Streit über künftige Machtverhältnisse

ISTANBUL taz ■ Einen Tag nach der Zustimmung des Parlaments zur Öffnung des türkischen Luftraums dürfen amerikanische Kampfjets und Bomber immer noch nicht die Türkei überfliegen. Grund für die Verzögerung ist der anhaltende Streit zwischen Ankara und Washington über einen möglichen Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak. Genau hierzu hatte das türkische Parlament die Armee des Landes am Donnerstag ermächtigt.

Stundenlang, so westliche Diplomaten in Ankara, hätten Regierungsmitglieder und US-Vertreter in der Donnerstagnacht verhandelt, um eine konkrete Vereinbarung über die US-Flugkorridore zu erzielen. Dabei sollen harte Worte gefallen sein. „Wir sind kein Golfemirat, mit dem ihr machen könnt, was ihr wollt“, soll ein türkischer Diplomat seinem amerikanischen Gegenüber aufgebracht entgegen gehalten haben.

Der Streit wird dadurch verschärft, dass die Türkei erklärt hat, mit Beginn des Krieges sei die Grundlage für die Überwachung der Flugverbotszone im Nordirak entfallen und sowohl die amerikanischen als auch die britischen Flugzeuge, die auf dem Stützpunkt Incirlik stationiert sind, brauchten eine neu auszuhandelnde Genehmigung, bevor sie wieder starten dürften.

Das Verteidigungsministerium der USA hatte die türkische Regierung bereits kurz nach dem Parlamentsbeschluss davor gewarnt, eigenmächtig im Nordirak einzumarschieren. Die türkischen Truppen hätten keine Freund/Feind-Kennung und könnten deshalb von US-Flugzeugen nicht als Alliierte identifiziert werden. Auch Präsidentensprecher Ari Fleischer erklärte bei seinem täglichen Briefing im Weißen Haus, George W. Bush akzeptiere im Irak nur Truppen der Koalition der Operation „Freiheit für den Irak“.

Die Türkei hat aber schon vor Wochen klar gemacht, dass sie eine Unterstellung ihrer Truppen unter einen US-Oberbefehl nicht akzeptieren wird. Dafür ist das gegenseitige Misstrauen darüber, was im Nordirak im Anschluss an einen Krieg passieren soll, viel zu groß.

Offenbar hat auch ein letztes Treffen der irakischen Opposition mit der türkischen Regierung die Bedenken Ankaras nicht zerstreuen können, obwohl man sich in einer gemeinsamen Erklärung einig zeigte. Danach sollen die von Ankara protegierten Turkmenen ebenfalls einen Vertreter in den bislang sechs Mitglieder zählenden Präsidialrat der Opposition entsenden können, und die kurdischen Vertreter Jelal Talabani und Nevisar Barsani bestätigten, dass sie die nordirakische Stadt Kirkuk zunächst der Kontrolle der USA überlassen wollen.

In einem Interview versicherte Talabani noch einmal ausdrücklich, dass die Kurden auch langfristig nicht die alleinige Herrschaft anstreben. „Kirkuk“ sei „multiethnisch“ und solle es auch bleiben.

Im Moment geht es aber offenbar zunächst nur um eine Pufferzone, die die türkischen Militärs auf irakisch-kurdischem Gebiet bilden wollen, um Flüchtlinge auf irakischer Seite unterzubringen. Nach Informationen aus den beiden größten Städten im Nordirak sind bereits viele Flüchtlinge durch die Berge auf dem Weg zur türkischen Grenze. Sie sollen aber bereits im Vorfeld von kurdischen Milizen gestoppt werden, die von sich aus verhindern wollen, dass Flüchtlinge in die Türkei gelangen.

Neben den USA hat auch die Europäische Union die türkische Regierung davor gewarnt, Truppen in den Nordirak zu schicken. Athens Außenminister Papandreou sagte auf dem Gipfel in Brüssel, die EU werde der Türkei bei den Folgen des Krieges beistehen, wenn sie sich aus dem Nordirak heraushalten. Der türkische Außenminister Abdullah Gül hat in Brüssel um finanzielle Unterstützung gebeten.

JÜRGEN GOTTSCHLICH