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Archiv-Artikel

Keiner redet mit Tony

In der Irakfrage bleibt die EU gespalten. Dennoch kommt eine gemeinsame Erklärung zustande

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Irakerklärung, die die EU-Chefs am Donnerstagabend beim Gipfel in Brüssel verabschiedeten, trägt die Handschrift des außenpolitischen EU-Vertreters Javier Solana. Wie seine Sprecherin Christina Gallach gestern betonte, sei der Text „die Blaupause für eine dritte Irakresolution“. Sie spielte damit auf die Tatsache an, dass die zweite Irakresolution nicht zuletzt am Widerstand Frankreichs scheiterte.

Und auch beim EU-Gipfel setzte Frankreichs Präsident Chirac durch, dass in der gemeinsamen Erklärung jeder Hinweis auf die erste Irakresolution 1441 und die tiefe Spaltung der Europäischen Union in der Irakfrage fehlt. Stattdessen stehen drei Punkte im Vordergrund, die auch Solana als wichtigste Elemente einer Nachkriegsordnung ansieht: Unverletzlichkeit der Grenzen Iraks, eine souveräne und demokratisch gewählte Regierung, Wiederaufbau und „Nationbuilding“ unter UNO-Regie.

Die zentrale Bedeutung der UNO beim Wiederaufbau betonte gestern auch der britische Premier Tony Blair: „Das System der Vereinten Nationen hat bessere Möglichkeiten als jedes andere, die Hilfe für Staaten in einer Nachkriegsperiode zu koordinieren. Der Sicherheitsrat muss den UNO für diese Mission ein starkes Mandat geben.“

Mehrere Sätze in der Gipfelerklärung erhalten eine diplomatisch verklausulierte Warnung an die Türkei, sich das kurdische Gebiet im Norden Iraks einzuverleiben. „Wir fordern alle Länder der Region auf, Handlungen zu unterlassen, die die Instabilität erhöhen könnten.“

Bundesaußenminister Fischer traf sich gestern Morgen mit seinem türkischen Kollegen Gül. Er mahnte mehr Kompromissbereitschaft in der Zypernfrage an. Gül betonte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Landes, die noch gestiegen seien, seit das türkische Parlament die amerikanische Forderung abgelehnt hat, Truppen im Land stationieren zu dürfen.

Mit ihrer Taktik, die völlig festgefahrene Situation einer sich gegenseitig blockierenden Staatengemeinschaft einfach zu ignorieren und Ansprüche auf eine Rolle beim Aufbau eines demokratischen Irak anzumelden, hat die griechische Ratspräsidentschaft eine der frostigsten Sitzungen überstanden, die in Brüssel je stattgefunden haben.

Blair und Chirac weigerten sich, auch nur Grüße zu tauschen. Stattdessen hielt sich ein erschöpfter Tony Blair an den Spanier Aznar, der als einziger bereit schien, lächelnden Smalltalk mit dem Briten zu machen.

Chirac dagegen „kuschelte sich an Schröder“ – so beschrieb der britische Guardian zwei unbeholfene Umklammerungsversuche des Franzosen. Beim Abendessen hätten Chirac und Blair einander schräg gegenübergesessen und feindselige Blicke getauscht „bei Thunfischcarpaccio und gegrilltem Lamm“. Erschöpft und angespannt wirkte aber nicht nur der isolierte Blair, sondern auch Joschka Fischer, der eine sogar für seinen Job außergewöhnlich anstrengende Woche zwischen Berlin, New York und Brüssel hinter sich hat.

Am Rande des Gipfels wurde hauptsächlich darüber spekuliert, ob das Irakdebakel das Ende einer gemeinsamen Außenpolitik der 15 und demnächst 25 EU-Staaten bedeutet. Der belgische Premier Guy Verhofstadt kündigte an, im April mit Frankreich und Deutschland einen Minigipfel in Brüssel zu veranstalten, wo über engere Zusammenarbeit ihrer Streitkräfte gesprochen werden soll. Der für starke Sprüche bekannte belgische Außenminister Louis Michel sagte, „die USA betrachten Nato, UNO und EU als Werkzeugkiste, in der sie sich nach Bedarf bedienen können“. Das werde erst anders, wenn Europa über eigene militärische Fähigkeiten verfüge.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, bezeichnete die belgische Initiative in der jetzigen Situation als kontraproduktiv. „Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine belgische Idee in Luft auflöst – siehe europäische Kosovotruppe“, sagte Brok. Ein französischer Sprecher bestätigte aber den Plan für ein Treffen. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker nannte ihn „die logische Konsequenz aus dem Dissens der vergangenen Wochen“.