: Wir alle sind schwer vermittelbar
Im Job schon alt, aber für die Rente zu jung: Tausende in mittlerem Alter müssen künftig als Kleinselbstständige oder Spätpraktikanten überleben. Neue Jobmodelle sind gefragt
Der Slogan klingt schon verdächtig nach Sonderangebot: „Die neue Kraft. Über 50 und gut“. So wirbt das Bundeswirtschaftsministerium für die Einstellung Älterer. „Erfahrung zählt“, sekundieren die Medien und die Arbeitsagenturen. Die Wirklichkeit sieht dadurch leider nicht besser aus: „Ein Lebensalter über 45 ist durchaus ein Knock-out-Kriterium für Bewerber“, sagt Dietmar Allenstein, zuständig für die Akademikervermittlung bei der Arbeitsagentur Mitte in Berlin. In der Einstellungspolitik der Firmen herrscht ein knallharter Biologismus. Was mit denjenigen geschieht, die „zu alt für den Job“ und „zu jung für die Rente“ sind, entwickelt sich zur wichtigsten sozialen Frage in Deutschland.
Fast 40 Prozent der Erwerbslosen in Deutschland sind älter als 45, überproportional viel für diese Altersgruppe. Nachdem die Regelungen zur Frühverrentung erschwert wurden, fallen diese Erwerbslosen in eine Lücke zwischen einem Stellenmarkt, der sie nicht mehr haben will, und dem Ruhestand, der noch gut 15, 20 Jahre entfernt ist. Jeder kann in diese Lebenslage kommen – auch die gut Gebildeten. Denn Firmenpleiten, Fusionen und Umstrukturierungen drücken auch Führungskräfte aus ihren wohl dotierten Jobs.
Dass das Kriterium „Alter“ ein starker Ausschlussgrund gerade auch für Akademiker ist, zeigt das Beispiel der Ingenieure. In Dietmar Allensteins Kartei sind mehr als die Hälfte der erwerbslosen Ingenieure älter als 45. Für sie verwandelt sich der Stellenmarkt in eine Welt der verschlossenen Türen. Sie werden kaum noch zu einem Vorstellungsgespräch geladen.
Dabei trügt die Hoffnung, dass der Nachwuchsmangel in Zukunft automatisch die Jobchancen der Älteren verbessere. Erst ab dem Jahre 2020 wird das Arbeitskräftepotenzial spürbar knapp, errechneten Sozialwissenschaftler. Das nützt den Betroffenen heute nichts.
Die politischen Appelle an die Wirtschaft, doch „die Erfahrung der Älteren zu nutzen“, sind zwar gut gemeint, klingen aber immer auch ein bisschen nach Spendenaufruf oder Restpostenverkauf. Das Alter hat offenbar ein Imageproblem. Und das liegt an Identitätsmustern, die immer noch verbreitet sind, obwohl die Wirklichkeit schon längst ganz anders daherkommt.
Das traditionelle Schema für das Altern in der Jobwelt sieht so aus: Man muss die Karriere möglichst schon von Jugend an planen und sich als hoffnungsfrohe Nachwuchskraft einen guten Einstieg verschaffen. Dann kommt der Aufstieg, es gibt von Jahr zu Jahr mehr Geld. Irgendwann dann gleitet man in die Plateauphase, die durch vergleichsweise hohes Einkommen und Sicherheit bis zum Ruhestand gekennzeichnet ist.
Dieses Schema spiegelt sich in vielen Tarifen wider, in denen die Dauer der Betriebszugehörigkeit automatisch zu steigendem Entgelt führt. In diesem Schema drückt sich auch ein paternalistisches Hierarchiemuster aus, in dem Ältere nur als Führungskräfte, nicht aber als Neuzugänge vorgesehen sind. Obwohl der Absturz vieler Jungunternehmer in der New Economy und die Jobsuche vieler Älterer das Schema längst untergraben, ist dieses traditionelle Muster noch immer in den Köpfen vorhanden – es ist heute eins der repressivsten Muster überhaupt.
Das Schema führt beispielsweise dazu, dass sich Beschäftigte in mittleren Jahren gar nicht mehr trauen, einen kündigungsgeschützten Routinejob aufzugeben und in eine reizvollere, aber unsicherere Position zu wechseln. Die Angst, irgendwann mal völlig draußen zu stehen, blockiert: Die Altersdiskriminierung fördert so paradoxerweise die „Sklerotisierung“ der Jobwelt.
Das Alter als Merkmal so hoch anzusetzen geht dabei an der biomedizinischen Forschung vorbei. Sie hat erkannt, dass gerade die höheren Altersgruppen sehr viel heterogener sind als die jüngeren, weil sich die Unterschiede in Begabung, Leistungsfähigkeit und Erfahrung mit dem Lebensalter weiter ausdifferenzieren. Frauen übrigens, die ja auf dem Jobmarkt immer wieder über ihr Frausein definiert werden, kennen diese Wut angesichts der Reduktion auf ein Merkmal recht gut: Man fühlt sich als einzelne Person, mit der besonderen Qualifikation und Berufserfahrung, nicht mehr wahrgenommen. Die Altersdiskriminierung funktioniert recht ähnlich wie die Geschlechterdiskriminierung.
Was wird aber nun in der Altersfrage geschehen? Wenn die Jüngeren die massenhaften Frühverrentungen nicht mehr bezahlen können und wollen, wenn neue kollektive Lösungen nicht in Sicht sind, dann bleibt nur eine Möglichkeit: Der Druck auf den Jobmarkt wird sich verschärfen. Es ist zu vermuten, dass sich der Arbeitsmarkt durch die Altersfrage weiter individualisiert.
Verschiedene Lösungswege sind denkbar. So haben beispielsweise einzelne mittelständische Unternehmer schon erkannt, dass es sich lohnt, die Älteren bei Inseraten gezielt als Bewerbergruppe anzusprechen: Sie können dabei nämlich aus hunderten von Hochqualifizierten das beste Dutzend hoch motivierter über 50-jähriger Arbeitsloser auswählen, die begeistert sind über die neue Chance. Außerdem bekommt ein solcher Betrieb sofort eine hervorragende Presse, wie beispielsweise der Automobilzulieferer Brose oder das Ingenieurunternehmen Fahrion bewiesen.
Der zweite Weg ist der Versuch vieler älterer Erwerbsloser, über unbezahlte Praktika in einem Unternehmen wieder Fuß zu fassen. Nach Mitteilung der Arbeitsagenturen haben diese Praktika, so genannte betriebliche Trainingsmaßnahmen in von den Arbeitslosen selbst gewählten Firmen, zugenommen. Der ursprüngliche Sinn eines Praktikums, nämlich Berufserfahrung zu sammeln, dreht sich hier um: Es geht bei den Älteren nicht mehr um Joberfahrung, sondern vor allem darum, die eigene Integrierbarkeit zu beweisen.
Ein dritter Weg sind Existenzgründungen. Sie haben nichts mehr mit dem üblichen Muster einer Unternehmensgründung zu tun, die darauf abzielt, mehr Geld zu verdienen als in der Angestelltenposition. Die vom Arbeitsamt subventionierten Existenzgründer handeln vielmehr oft aus Not, mangels Alternativen. In der Arbeitsagentur Düsseldorf beispielsweise macht sich mehr als die Hälfte der arbeitslosen Akademiker selbstständig.
Der vierte Weg wird wohl von tausenden älteren Erwerbslosen begangen, die sich künftig mit einem Mix aus Arbeitslosenhilfe – ab 2005 Arbeitslosengeld II – und einem Hinzuverdienst bis zur kargen Rente durchwurschteln müssen. Zur Armutsbekämpfung gehört daher vielleicht auch die Frage, ob man die Hinzuverdienstgrenzen zum Arbeitslosengeld II für Ältere nicht großzügiger gestalten sollte.
Fest steht: Die Antworten auf die Altersfrage könnten den gesamten Jobmarkt umkrempeln. Die Verteilung von Erwerbschancen unter allen Altersgruppen ist die vielleicht brennendste Gerechtigkeitsfrage. Übrigens: Wir alle sind schwer vermittelbar. Irgendwann. Ausnahmen gibt es nicht. BARBARA DRIBBUSCH