: Autobahn ins Glory Land
Immerhin: Die Rentenkasse schonen sie. Doch nach 43 harten Bühnenjahren sind die Lords nur noch eine Coverband
Lange Haare, lange Bärte, lange Gesichter. Cowboystiefel und Holzfällerhemden: Gleich beginnt das Konzert im Meisenfrei. Das Mitvierziger-Grüppchen schnappt noch einmal frische Luft. Der Zeitgeist ist an ihm spurlos vorbeigegangen.
Neuankömmlinge mit weniger als drei Jahrzehnten Lebenserfahrung werden feindselig beäugt. Beim Schwelgen in vergangenen Zeiten bleibt man offenbar lieber unter sich.
Das Publikum der Lords reicht von Outlaws wie denen im Eingangsbereich bis hin zu gepflegten Herren in den so genannten besten Jahren. Ohne einen Rest Rock-Romantik kommen auch diese soliden Existenzen nicht aus. Wer für den nostalgischen Anlass keine Bundfalten-Lederhose zur Hand hatte, hat doch wenigstens das gute alte stonewashed Jeanshemd aus dem Schrank hervorgekramt und die Ärmel hochgekrempelt. Es kann losgehen.
Zu den Klängen eines fidelen Marsches von Johann Strauß kommen die alten Herren auf die Bühne. Ohne Umschweife und unaufgeregt werden die ersten Akkorde in die Saiten gedroschen: Mit zwei Eigenkompositionen eröffnen die Veteranen den Abend. Die Menge reagiert mit freundlichem Interesse. Echte Begeisterung macht sich erst breit, als die Lords mit dem sattsam bekannten Rock-Standard „Shakin‘ All Over“ eine erste Cover-Version auftischen.
So etwas haben die vier in ihrer 43-jährigen Bandgeschichte wohl schon öfter erleben müssen. Ihr Programm besteht fast nur aus Songs anderer Künstler. Andererseits soll hier auch das aktuelle Album präsentiert werden. Ein Dilemma: „Wir machen nicht nur alten Kram“, verkündet Gitarrist Leo Lietz, „jetzt kommt mal was Nagelneues!“ Sofort stöhnt das Publikum auf. Im Greisenalter als bessere Schützenfest-Coverband verramscht zu werden – wie frustrierend muss das sein für eine Band, die in den 60ern elf Singles in den deutschen Charts hatte? Doch die Lords sehen in ihren langen, taillierten Mänteln nicht nur aus wie eine Kreuzung aus Fin-de-siècle Dandies und verarmtem englischen Land-Adel. Sie wissen die peinliche Situation auch mit aristokratischer Gelassenheit zu ertragen. Der Song wird gespielt.
„Das Equipment ist ja vom Allerfeinsten“, bemerkt einer der wenigen jüngeren Zuschauer. „Ansonsten sind die genauso dröge wie Status Quo.“ Er nimmt einen Schluck aus der Flasche.
Nach dem Vorbild jener englischen Kneipen-Rock-Legende wiegen sich auch die Lords jetzt gemächlich hospitalistisch im Takt. Sie haben sich wirklich mit ihrem bescheidenen Gnadenbrot als Rock-Resteverwerter abgefunden.
Zur Freude der „Fans“: „Mensch, die sind ja immer noch genauso wie früher!“ entfährt es einem Besucher entzückt. Immer tiefer wird in die Mottenkiste gegriffen, von der Barock-Ballade „Greensleeves“ bis zum Gospel „Over In The Glory Land“. Letzteres weckt Erinnerungen an die Blödel-Version von Klaus & Klaus: „... da hab ich die Zeit verpennt“ – wie wahr.
Dann: „Route 66“ – eine Hymne auf den Highway von Chicago nach L.A., Symbol für den „american way“, für „freedom“ und „the pursuit of happiness“. Am Tag der Irak-Invasion eine zweifelhafte Wahl. Garniert wird’s mit der Ansage: „Wollt ihr den totalen Rock’n’Roll?“. Ein totaler Fehlgriff.
Trotzdem drehen sich betagte Paare vergnügt beim Jive, dazwischen taumelt ein Betrunkener einsam, aber glücklich über die Tanzfläche. Nach anderthalb Stunden haben die Lords ihre Dienstleistung erbracht. Sie verlassen die Bühne. Wieder erklingt Johann Strauß. Diesmal ist es ein Walzer.
Ist es Zynismus? Gleich darauf legt der DJ „Like A Rolling Stone“ auf. Vom Alter her passt der Vergleich. Doch die Stones füllen ganze Stadien – und werden für ihre eigenen Songs geliebt.
till stoppenhagen