: „Bei uns, im Krieg“
Ahmad Berwari
Schon Monate vor Beginn des US-Einmarsches im Irak hat Ahmad Berwari, Jahrgang 1964 und Berliner Repräsentant der Patriotischen Union Kurdistans, immer wieder gesagt: Ich bin für den Krieg! Seine Familie floh vor Saddam aus Bagdad. Er selbst kämpfte zunächst in Kurdistan für die Freiheit und kam schließlich Mitte der 80er-Jahre als Asylbewerber nach Deutschland. In Heidelberg studierte der sunnitische Kurde antike Philosophie. Krieg lässt sich moralisch zwar nicht rechtfertigen, meint er, doch Diktaturen haben seiner Meinung nach eine andere Logik als zivilisierte Staaten. Dass die Deutschen das nicht verstehen, enttäuscht ihn
Interview ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Der Krieg, den Sie befürworten, hat begonnen – wie fühlen Sie sich?
Ahmad Berwari: Ich bin besorgt um unsere Leute und um meine Freunde in Bagdad. Auch wenn der kurdische Nordirak von den britischen und US-Truppen nicht angegriffen wird, besteht doch die Gefahr, dass die Menschen dort Racheaktionen der Republikanischen Garde Saddams zum Opfer fallen. Wir Kurden haben schon sehr bittere Erfahrungen gemacht, daher die große Angst. Unsere Leute wissen jetzt einfach nicht, was sie machen sollen.
Aber diesen Krieg haben Sie und die große Mehrheit der in Berlin lebenden irakischen Kurden doch befürwortet?
Ja. Ich bin der Meinung, dass ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende.
Warum muss es Krieg sein?
Die irakischen Kurden haben am meisten unter den Kriegen der Vergangenheit gelitten. Im irakisch-iranischen Krieg, im zweiten Golfkrieg. Wir wurden in diesen Jahren von Saddam allein 42-mal mit chemischen Waffen angegriffen. Ich will keinesfalls behaupten, wir würden uns freuen über den Krieg. Wir sind aber zufrieden, dass das Ziel dieses Krieges, nämlich Saddam zu entmachten, genau definiert ist. Es ist der Anfang vom Ende Saddams.
Gibt es unter den hier lebenden irakischen Kurden keine Pazifisten?
Eigentlich nicht. Nein.
Was macht ein Exilkurde jetzt?
Wer nicht organisiert ist und in seinen Verein oder in sein kurdisches Zentrum geht, guckt eben fern. Anders als zu Anfang der 90er-Jahre können wir heute kurdisches Satelliten-TV sehen. Es gibt Kurdistan-TV, ein Satellitenprogramm der Kurdisch-Demokratischen Partei, es gibt KurdSat, ein Sender der Patriotischen Union Kurdistans, außerdem zwei arabische Sender und natürlich das staatliche Irak-TV.
Gucken Sie Saddams Irak-TV?
Nein, höchstens mal, wenn ein gutes Musikprogramm läuft, ein bekannter Sänger oder so. Wir Iraker haben es satt, diese Nachrichten sehen zu müssen. Das ist ja nur eine Fortsetzung der Quälerei, die man dort durchlitten hat.
Was quält da?
Die Art und Weise zum Beispiel, wie da gesprochen wird. Dem Namen Saddam Husseins wird immer „Gott segne und schütze ihn“ beigefügt, nebst zahlreichen Ehrentiteln. Egal um welches Thema es geht, es muss immer ein Zusammenhang zum glorreichen Saddam hergestellt werden. Ich guck das manchmal, um nicht zu vergessen, was das ist, dieses Saddam-Regime. Es ist sehr traurig, dass die Iraker sich das noch immer anhören müssen.
Können Sie den Menschen zu Hause irgendwie helfen?
Eigentlich nicht. Wir halten Kontakt, denn unsere Leute bedürfen mehr der moralischen Unterstützung. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist für uns sehr wichtig. Wir telefonieren mit unseren Verwandten und Freunden in der Heimat, die jetzt dabei sind, die Städte zu verlassen, um bei anderen Verwandten auf dem Land unterzukommen. Ich schicke meinen Verwandten täglich E-Mails. Es ist beruhigend zu wissen, dass die Situation nicht wie im Golfkrieg Anfang der 90er-Jahre ist.
Was meinen Sie damit?
Durch unsere Präsenz im Ausland, wie hier in Berlin, wird die Weltöffentlichkeit schneller erfahren, was im Nordirak los ist. Es beruhigt viele Kurden, dass zur Zeit zahlreiche internationale Journalisten im Nordirak arbeiten. Wir hoffen, dass bei eventuellen Racheakten Saddams gegen uns die Welt sofort davon erfahren wird. Das könnte ihn davon abhalten.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den nichtkurdischen Irakern hier in Berlin? Gibt es da Spannungen?
Die Entwicklung der Lage im Irak hat keinen Einfluss auf unsere persönlichen Beziehungen. Die Vereine arbeiten getrennt, das ist normal, weil das Institutionen sind, die bestimmte Zielsetzungen haben. Der Charlottenburger Verein Awadani setzt sich für die Belange der irakischen Kurden ein, Rafidein in Neukölln setzt sich für alle Iraker ein. Als wir kürzlich dem Jahrestag des Massakers in Halabdscha gedacht haben, haben wir alle zusammen gearbeitet.
Eint sie der Hass auf Saddam?
Alle, die hier aktiv sind, sind gegen das Regime. Wir Kurden fühlen uns auch als Iraker. Das Gefühl ist stark. Es ist nicht erst die Katastrophe, die uns zusammenstehen lässt. Viele Familien aus den unterschiedlichsten Gegenden des Irak haben hier in Berlin sehr guten Kontakt untereinander.
Wie reagieren Menschen aus anderen arabischen Ländern auf Sie, wenn sie erfahren, dass Sie Iraker sind?
Sie sind immer sehr freundlich und zeigen demonstrativ Sympathie. Aber aus den falschen Gründen. Sie denken, ich bin für Saddam. Ich muss leider immer wieder feststellen, dass die nichtirakischen Araber das Leid der irakischen Menschen nicht sehen wollen. Sie glauben, Saddam setze sich für die Interessen der Araber ein. Daher werde ich stets sehr freundlich behandelt. Das finde ich sehr bitter.
Und wenn Sie diesen Leuten klar machen, dass Sie keineswegs ein Fan von Saddam sind?
Das wird nicht zur Kenntnis genommen. Das finde ich gefährlich. Auch hier in Berlin.
Meinen Sie eine antiwestliche Stimmung unter Berliner Arabern?
Es sind islamische Kreise die aus religiösen Motiven eine Irak-Sympathie pflegen. Sie verurteilen die Allianz eines gläubigen islamischen Staates mit einem ungläubigen westlichen Staat. Unter den Berliner Irakern gibt es natürlich auch solche, die alles kritisieren, was die USA machen. Weil sie eher links sind, oder weil sie der Meinung sind, dass die Lage im Irak so ist, wie sie ist, weil sich der Westen eben schon früher eingemischt hat und Saddams Regime überhaupt erst möglich machte.
Wo stehen da die Kurden?
Für eine Entmachtung Saddams.
Ist es für Sie eine Enttäuschung, dass die Bundesregierung diesen Krieg nicht will?
Ja. Wir Kurden sind nicht nur enttäuscht, wir sind sehr ärgerlich. Wir wissen ganz genau, dass die Bundesregierung sich nie besonders über die Lage im Irak informiert hat, dann aber mit den Ängsten der Deutschen die Wahl gewonnen hat. Wir dachten, dass Schröder wenigstens nach den Wahlen eine Alternative anbietet.
Eine Alternative zum Frieden?
Uns geht es nicht nur um Abrüstung und die Zerstörung der Massenvernichtungswaffen. Wir wollen wissen, was danach kommt. Wir waren und sind der irakischen Aggression ausgesetzt – ob die nun C-Waffen haben oder nicht. Wir haben eine bessere Lösung erwartet, als das, was Deutschland vorschlägt.
Was bedeutet das für das deutsch-kurdische Verhältnis?
Traditionell haben die Kurden hier Bindungen zu den Grünen und zu Kreisen der SPD. Das wird in Zukunft nicht mehr so sein. Die Iraker, mit denen ich spreche, das ist leider so, sehen die Bundesrepublik auf Seiten Saddams. Das ist traurig. Ich versuche meinen Leuten das differenziert zu erklären oder zu rechtfertigen. Aber zu Hause machen sie schon Witze über mich, weil ich hier lebe und Dinge anders sehe als sie.
Ist es so schwer zu verstehen, dass viele Deutsche, mit den kollektiven Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, Krieg und Gewalt grundsätzlich für keine Lösung halten?
Bei den Friedensdemos hier fehlen uns Hinweise auf die Verbrechen Saddams. Als er Kuwait überfiel, haben hier alle demonstriert und Kerzen angezündet. Als er nach dem Abzug der USA die oppositionellen Iraker brutalst bestrafte und abschlachtete, ging hier niemand mehr auf die Straße. Wenn schon für Frieden, dann aber bitte nicht selektiv. Die irakischen Kurden sind darüber einfach sehr enttäuscht.
Sie glauben nicht, dass die Deutschen so überzeugte Pazifisten sind?
Viele von uns haben das Gefühl, die Deutschen sind nicht nur aus pazifistischen Motiven gegen den Krieg, sondern auch aus antiamerikanischen. Das zu thematisieren ist nicht leicht, aber ich spüre das immer wieder.
Sie haben in Heidelberg Philosophie studiert. Gibt es Ihrer Meinung nach den gerechten Krieg?
Nein, den gibt es nicht, aber in der Politik muss man zu Maßnahmen greifen, die Lösungen bringen. Ich kann nicht nur voller moralischer Bedenken einfach rumsitzen und dagegen sein. Kriege sind moralisch nicht zu rechtfertigen, aber mit Diktaturen kann man auf zivilisierte Art und Weise nicht umgehen. Saddams Logik ist eine andere als die der Bundesrepublik.
Sie sind in Bagdad geboren und aufgewachsen. Welche Stadt existiert da noch in Ihren Erinnerungen?
Meine Familie lebte damals in einem Stadtteil, wo es eine sehr gemischte Bevölkerung gab. Unsere Nachbarn waren Schiiten, wir sunnitische Kurden, ein paar Blöcke weiter Turkmenen, Christen, und auch ein altes jüdisches Ehepaar. Deshalb nerven mich manche Leute, die behaupten, nur eine Diktatur kann diesen Irak zusammenhalten. Ohne Saddam bräche alles auseinander – völliger Unsinn!
Wieso mussten Sie fliehen?
Mein Vater wurde bereits in den 60er-Jahren hingerichtet, mein Stiefvater musste nach verschiedenen Hinweisen das Land verlassen. Er war ein hochrangiger Mitarbeiter im Landwirtschafsministerium. Da es unter Saddam Sippenhaft gibt, hatte ich immer ein wenig Angst. Dennoch engagierte ich mich in der verbotenen Studentenunion Kurdistans. Als meine Familie damals fliehen musste, studierte ich schon in Mossul, da hatte ich ein bisschen mehr Freiheiten. Nichts konnten meine Eltern mitnehmen, unser Haus, selbst unsere Fotoalben, alles blieb zurück. Ich wollte mich zunächst noch darum kümmern, aber das wurde zu gefährlich, weil es Massenverhaftungen von Studenten gab. Einige, die mich kannten, waren dabei. Ich hatte Angst, dass sie unter der üblichen Folter meinen Namen nennen würden. Ich habe noch die Angriffe der iranischen Flugzeuge im ersten Golfkrieg auf Bagdad miterlebt. Dann bin ich nicht mehr dorthin zurückgekehrt.
Haben Sie Heimweh?
Was am meisten schmerzt, ist die Gewissheit, dass das Leben, das ich dort kannte, so nicht mehr existieren kann. Wegen des Terrors von sieben verschiedenen Sicherheitsbehörden hat heute jeder Angst vor dem anderen.
Welches Lebensgefühl hatten Sie damals, als sie noch im Irak lebten?
Man lebte immer auf der Flucht, immer für den Tag. Anfangs, als ich nach Deutschland kam, schien es mir absurd, dass man hier so großen Wert auf Krankenversicherung und Rente legt. Wozu? Fragte ich mich lange. Bei uns, im Krieg, wusste man ja nicht einmal, ob man den nächsten Tag noch erlebt.