: Vom Mief befreit
Deutschlands handballernde Vizeweltmeister lassen sich in Berlin feiern – und schlagen nebenbei Island mit 39:34
BERLIN taz ■ Christian Zeitz kam gar nicht mehr runter vom Feld. Immer wieder wurde ihm ein Stift in die Hand gedrückt, immer wieder sollte er damit seinen Namen malen auf Poster und Karten und T-Shirts und Bälle und alles, was ihm sonst noch so entgegengestreckt wurde. Der 22-jährige Blondschopf erfüllte die Wünsche freundlich lächelnd und äußerst geduldig, unterbrochen nur vom nächsten Fotoshooting fürs Fan-Familienalbum: Rechts eine zahnbespangte Vierzehnjährige im Arm, links eine sommerbesprosste Dreizehnjährige. Cheeeeese! Kurzes Blitzlicht. Danke! Bitte weiter Autogramme schreiben. Und noch eins und noch eins und noch eins. Und noch mal ein Foto. Bitte lächeln! Nochmals danke. Vor allem die Mädchen stehen Schlange bei Christian Zeitz.
Er ist ja auch ein netter Kerl. Vor allem aber: Er ist Vizeweltmeister im Handball. Mit 22 Jahren – und obwohl er bis Ende der Saison noch bei der kleinen SG Kronau-Östringen spielt, in der zweiten Liga, bevor er dann im Sommer zum großen THW Kiel wechselt. Am Samstag in Berlin, beim 39:34-Erfolg der deutschen Handballer im Freundschaftsspiel gegen Island, gelangen Zeitz vier Tore, in der Liga lief es zuletzt nicht immer so gut. „Die Gegner konzentrieren sich jetzt mehr auf mich. Da ist es schwer Tore zu werfen“, beschreibt er eine der Auswirkungen der WM in Portugal. Den Rest empfindet er weit weniger unangenehm: „Pro Woche flattern sechs, sieben Briefe ins Haus, manche mit Herzchen drauf“, erzählt er. Vor der WM war das nicht so. Auch die Autogrammkarten sind mittlerweile ausgegangen. „Die werden noch immer nachgedruckt“, sagt Zeitz. Er freut sich über das gesteigerte Interesse an seiner Person – und an seinem Sport. „Jetzt gilt es, diese Begeisterung am Leben zu halten“, sagt er.
Das wollen sie alle beim Deutschen Handball Bund (DHB), zumal die Euphorie um die handballernden Freunde nie größer und die Voraussetzungen somit noch nie besser waren. Beim Länderspiel in Berlin, dem ersten in Deutschland seit dem Gewinn des WM-Silbers, war das gut zu sehen: Über 7.000 Zuschauer füllten die Max-Schmeling-Halle und gaben dem Schaulaufen der WM-Helden einen stimmungsvollen Rahmen. Und obwohl es sich bei der Partie lediglich um ein Treffen in Freundschaft handelte, war doch mächtig Halligalli in der Halle. Das Volk liebt seine Handballer. Zumindest derzeit.
„Wahnsinn“, findet das nicht nur Christian Rose von der SG Wallau-Massenheim. „Man sieht dass Potenzial da ist“, sagt er. Nun gilt es die frisch entfachte Liebe am Lodern zu halten, vor allem im Alltag, sprich: der Liga, wo all die WM-Helden ihr Zuhause haben und ihre Brötchen verdienen. „Die Liga wird sich aufstellen müssen“, sagt Horst Bredemeier, der für die Vermarktung zuständige DHB-Vizepräsident. Mit der Nationalmannschaft, seinem direkten Zuständigkeitsbereich, ist er schon sehr zufrieden. Die wichtigsten Sponsoren sind längerfristig gebunden, an länderspielwürdigen Großspielstätten fehlt es auch nicht mehr.
„Wir gehen nicht mehr in Schulturnhallen“, sagt Bredemeier, was heißen soll, dass sich der Handball, zumindest die Nationalmannschaft, endgültig vom Schulturnhallen-Mief befreit hat. „Ein Länderspiel ist kein Länderspiel mehr, sondern ein Event“, fasst der DHB-Vize das zusammen. Mit Trommeln und Nebel und Scheinwerferlicht. Im Sport ist das heute eben so, und die Handballer wollen das jetzt auch auf ihre Liga übertragen, ein bisschen wenigstens. Nur so kann man Woche für Woche Zuschauer und Sponsoren und Medien in die Bundesliga locken – und damit die ganze Euphorie am Leben halten.
„Zögerlich“, nennt Bernd-Uwe Hildebrandt, Manager von Champions-League-Sieger SC Magdeburg, das Tempo, in dem dies geschieht, vielleicht auch deshalb, weil der SCM in puncto Vermarktung schon immer die Nase vorn hatte. Und so ist es auch kein Zufall, dass Hildebrandt „einen kleinen Personenkult und Typen“ fordert, so wie sie das in der Börde mit Stefan Kretzschmar schon lange haben. „Davon lebt eine Sportart“, sagt der Manager, im Handball müsse das der eine oder andere Spieler, auch aus der Nationalmannschaft, erst noch begreifen lernen. Auch Christian Zeitz gehört offenbar zu denen. „Ich will kein Typ sein“, sagt der. „Ich will nur Leistung bringen.“ Im zarten Alter von 22 kann er noch lernen, das durchaus beides möglich ist.