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Archiv-Artikel

Streikunterricht in Holweide

Ab sofort müssen Lehrer in Nordrhein-Westfalen wöchentlich eine Stunde länger arbeiten. An der Gesamtschule Holweide im Kölner Osten treten Lehrer für eine Stunde in den Arbeitskampf

VON INGRID BÄUMER

Eigentlich dürfen Beamte nicht streiken. Dennoch trat das 170-köpfige Kollegium der Integrierten Gesamtschule (IGS) Holweide am Montag Morgen zur ersten Schulstunde in den Arbeitskampf – symbolisch und mit Zustimmung der Elternpflegschaft. Mit Transparenten und der Unterstützung von Schülerinnen und Schülern standen sie vor der Schule. Anlass: Lehrer müssen ab sofort 26,5 Stunden pro Woche unterrichten. Plus Vorbereitungs- und Korrekturzeit steigt damit die Arbeitszeit nach Berechnung der Pädagogen auf 41 Stunden. Die Lehrkräfte sehen sich jetzt schon am Rande der Belastbarkeit. „Wir wollen ja nicht herumjammern, das schadet auch dem Image“, so Naturwissenschaftslehrer Peter Heim. „Aber es bleibt einfach immer weniger Zeit, individuell auf die Schüler einzugehen oder die Eltern zu betreuen.“

In diesem Halbjahr sollen gesunde Lehrer zunächst den Unterricht langfristig kranker Kollegen übernehmen. Nach Berechnungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kann die Landesregierung damit zum neuen Schuljahr 4.000 Lehrerstellen einsparen. Unterrichtsausfall ist keine Seltenheit: Weil ein Lehrer erkrankte, fielen bei Schülerin Jennifer Lohr aus der 7. Klasse drei Wochen nach einander jeweils vier Stunden flach. „Teils fielen die Stunden ganz aus, teils hatten wir Vertretungsunterricht. Aber da lernt man nicht viel, es werden halt Geschichten erzählt und so.“

Eine Studie der Landesregierung ergab schon 1999, dass Lehrer an Gesamtschulen durchschnittlich 43 Stunden arbeiten – Ferien inklusive. Trotzdem verlängert jetzt der Dienstgeber die Arbeitszeit. „Würde ich mich an die 41 Stunden halten, dann könnte ich schon jetzt meine ganzen Aufgaben nicht erledigen“, sagt Vertrauenslehrerin Angelika Botterbusch. „Wir haben hier an der Integrierten Gesamtschule einige Sonderprojekte.“ Die IGS ist eine der ersten weiterführenden Schulen im Land, die lern- und körperbehinderte Kinde in den Unterricht aufnimmt. Von den 1700 Schülern haben knapp 130 einen besonderen Förderungsbedarf.

„Wenn ich demnächst in einer Klasse 31 Schüler durchziehen muss – das wird mit dem neuen Schuljahr der Durchschnitt sein –, dann bleiben mir pro Kind gerade mal ein paar Sekunden Zeit“, so Angelika Botterbusch. „Es sei denn, ich mache Frontalunterricht und doziere von der Kanzel herab.“ Dabei sei ein zentrales Ergebnis der Pisa-Studie gewesen, dass soziales Lernen und Lerngruppen bessere Resultate bringen. „Diese Lernformen brauchen aber mehr Zeit. Wann sollen wir die erübrigen?“ Auch die besonders leistungsstarken Schüler sollten gefördert werden. Aber genau die würden oft vergessen, weil sie keine Probleme machen. Peter Heim: „In der Summe bedeutet das eine Verschlechterung der Bildungschancen.“

Ein Gesetzentwurf der Landesregierung für 2005 ist im Kollegium bereits bestens bekannt. Dieser sieht einige neue Pflichten für den Lehrkörper vor: unter anderem, regelmäßig Fortbildungen zu besuchen, sich über Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auf dem Laufenden zu halten, Kontakt zu außerschulischen Partnern aufzunehmen und an Veranstaltungen zur Evaluation der schulischen Arbeit teilzunehmen.

Das Holweider Kollegium nahm trotz Protest die zusätzliche Stunde „zähneknirschend“ an. Weitere Streiks sind nicht geplant: Die Erfolgsaussichten sind gleich null. So lief gestern morgen bereits in der zweiten Schulstunde alles wieder nach Plan.