piwik no script img

Archiv-Artikel

Und wieder fehlt das Quäntchen

Nach dem 1:3 bei Hertha BSC Berlin muss Energie Cottbus sich auf den Abschied aus der Bundesliga einstellen

BERLIN taz ■ Es war exakt die 85. Minute, und drüben, in der großen Kurve, war es auf einmal doch beängstigend ruhig geworden, still beinahe. Ausgerechnet Alex Alves, das Schweinchen Dick vom Zuckerhut, hatte zum zweiten Mal und somit zur Führung ins Tor getroffen für die Berliner Hertha, und genau in diesem Moment muss den Menschen aus Cottbus dort drüben in der Kurve aller Mut und alle Hoffnung entfahren sein. Keinen Muckser gaben sie mehr von sich, nur noch eine große, traurige Stille, bestimmt eine Minute, eine traurige Schweigeminute lang. Dann lief Michael Preetz in den Fünfmeterraum und schob eine Hereingabe auch noch zum dritten Treffer für die Berliner ins Netz. Und erst mit ihm kam wieder ein wenig Leben zurück in die zu Salzsäulen erstarrten Körper: Nun hoben sie alle ihre Schals in die Höhe und wiegten sie langsam hin und her. Es sah immer noch traurig aus – aber auch ein wenig trotzig und stolz.Und dazu zuckten vereinzelt kleine Blitzchen aus kleinen Fotoaparaten, und aus der Ferne sah es so aus, als ob da jetzt ein paar traurig-stolze Cottbuser ein paar traurige Abschiedsfotos schießen. Abschiedsfotos von der Bundesliga.

Auf sechs Punkte ist der Abstand nun wieder angewachsen zu jenem Platz, der am Ende den Klassenverbleib sichern würde. Das ist, wenn auch nicht unmöglich, so doch eine ganze Menge, zumal bei nur noch acht ausstehenden Partien. „Herr Geyer, war’s das?“, wurde Eduard Geyer, der Trainer, deshalb später gefragt. „Ja. Das sieht nicht gut aus“, hat Herr Geyer da geantwortet, mit ganz ruhiger Stimme; und dass er bei der Frage nicht ein wenig aufgebraust ist, wie es schon mal seine Art sein kann, wenn ihm etwas nicht passt, hat die Angelegenheit nur noch trauriger gemacht – und hoffnungsloser. Dann hat Herr Geyer, dem Energie zu verdanken hat, dass es überhaupt seit drei Jahren in der Bundesliga mitkicken darf, gesagt, dass er und die Mannschaft kämpfen werden, „solange es eine theoretische Chance gibt“. Richtig überzeugend aber klang das nicht mehr, auch Geyer hat das gemerkt. „Das ist das, was man in unserer Situation sagen muss“, sagte er. Es sind Durchhalteparolen.

Dabei kann es ja durchaus vorkommen, dass ein Tabellenletzter verliert bei der so ambitionierten Hertha. Aber vielleicht macht es das ja nur noch schlimmer: Dass Energie lange Zeit ebenbürtig war, mindestens. Vagner hatte schon nach zehn Minuten die Führung für die Gäste besorgt, die auch in der Folge hochkonzentriert und bestorganisiert zu Werke gingen. Cottbus ackerte und rackerte und spielte dabei auch noch richtig guten Konterfußball – und gar nicht wie Absteiger. Nur mit einem zweiten Tor wollte es nicht klappen, obwohl die Chancen dazu durchaus vorhanden waren. Mal flankte der flinke Gebhardt zu weit, mal blieb der emsige Vagner hängen, dann wieder waltete Schiedsrichter Kurt Kircher nicht so, wie es eigentlich seines Amtes würdig gewesen wäre: Vor der Pause ließ er einen Freistoß aus aussichtsreichster Position nicht mehr treten, nach dem Ausgleich durch Dardai (72.) ahndete er eine Notbremse von Simunic lediglich mit Gelb – obwohl es Dunkelrot war. „Mit den kleinen, beschissenen Cottbusern kann man es ja machen“, polterte Geyer da, und man war froh, dass er es tat. Es war wenigstens ein Lebenszeichen.

Dass es am Ende nicht allein an Herrn Kircher liegen wird, sollte Cottbus absteigen, wonach es nun leider Gottes aussieht, weiß Ede Geyer freilich schon auch. „Vielleicht fehlt uns einfach das Quäntchen, das man für die Bundesliga braucht“, hat er am Sonntagabend noch gesagt, nicht zum ersten Mal. Das Quäntchen Geld, um sich vielleicht den ein oder anderen besseren Spieler zu kaufen, der dann vielleicht auch ein Quäntchen mehr Tore schießt oder auch nur ein Quäntchen mehr Glück hat. Es fehlt Energie ja nicht viel, wirklich nicht, am Sonntag gegen Hertha hat lange gar nichts gefehlt, kein Stück, in den zwei Partien davor war es nicht anders, trotz Niederlagen. „Auch da waren wir ja nicht hoffnungslos unterlegen“, stellte Silvio Schröter fest. Das stimmt. Es hat ihnen nur ein Quäntchen gefehlt. FRANK KETTERER