ein arabisches tv-tagebuch : Ein arabisches TV-Tagebuch: Der Schriftsteller Sélim Nassib über den Irakkrieg aus der Perspektive von al-Dschasira
Gullivers Fall
Der amerikanische Apache-Hubschrauber strandet in der Mitte eines Feldes, das von einer Gruppe irakischer Bauern umringt wird. Sie tanzen fast und heben ungläubig ihre Schießeisen. Al-Dschasira sendet diese Bilder, die das irakische Fernsehen aufgenommen hat, zwanzig Minuten lang. Am fünften Tage des Krieges kann das Auge nicht mehr erkennen, wann und in welcher Stadt die Bombardements stattfinden, die es auf dem Bildschirm sieht. Demgegenüber ist das Bild des Helikopters wahrnehmbar: Gulliver ist auf dem Boden, paralysiert von den Liliputanern.
Die Bilder der fünf amerikanischen Gefangenen, die vom irakischen Fernsehen interviewt werden, werden ebenfalls in ganzer Länge gezeigt, aber nur ein einziges Mal. Die Panzer, die Flugzeuge und Kriegsmaschinen, sie werden also von Lebewesen bedient, und diese Lebewesen hier sind: zerbrechlich, gedemütigt, terrorisiert.
Ein Gerücht macht die Runde, dass zwei amerikanische Piloten mit einem Fallschirm über Bagdad heruntergekommen seien. Zu tausenden strömen die Bewohner der Hauptstadt an das Ufer des Tigris, ungeachtet der Gefahr, die von den unaufhörlichen Bombardements ausgehen. Sie haben nur ein unbändiges Verlangen: dem Feind ein Gesicht zu geben und dieses besiegte Gesicht zu sehen.
Die Kommentatoren und die arabischen Demonstranten sprechen alle von dem amrikanischen Soldaten, der auf einem Hafengebäude in Umm Kasr ein Sternenbanner gehisst hat. Diese Fahne wurde wieder heruntergenommen, offiziell, um zu zeigen, dass es sich bei dem Feldzug nicht um einen Okkupationskrieg handelt. Aber die Sequenz hat den gegenteiligen Effekt und lässt die Geste wie eine misslungene Tat erscheinen, die die tiefen und uneingestandenen Motive der Amerikaner verrät.
Al-Dschasira fährt fort, den Vormarsch der westlichen Truppen auf Bagdad zu übertragen, genauso wie die Erklärungen, Analysen und Kommentare der amerikanischen und britischen Führer. Aber die Armee Saddams ist noch immer nicht in sich zusammengebrochen, und die Mehrheit der Iraker ist weit davon entfernt, die Angreifer als Befreier zu empfangen. Und einige unter ihnen, die nach Jordanien oder woandershin geflohen sind, sprechen sogar davon, ins Land zurückzukehren, um dort zu kämpfen.
Mit einem Mal tritt die Darstellung eines Aggressionskrieges, der unter Missachtung der öffentlichen Meinung und des internationalen Rechts geführt wird, mit jedem Tag deutlicher zutage. Eine primitive Szene spielt sich ab: Jahrhundertelang besiegt und erniedrigt, haben die Araber endlich eine Chance, sich zu rächen, auch wenn diese Chance nur symbolisch ist. Die irakischen Führer, die immer häufiger im Fernsehen auftreten und sich schamlos als Verteidiger des Rechts aufspielen, haben das verstanden. Und Saddam Hussein bereitet sich darauf vor, die größte Rolle seines Lebens zu spielen: diejenige Stalins in Stalingrad.
SÉLIM NASSIB
Der libanesische Schriftsteller und Journalist Sélim Nassib lebt und arbeitet seit 1969 in Paris. In einer Kolumne für die Libération, El Pais und die taz vergleicht er die Kriegsberichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira mit der Darstellung auf anderen Sendern, etwa CNN und BBC