Grüne Basis so gut wie organisiert

Kreisverbände fordern Sonderparteitag zur Sozialpolitik. Grünen-Spitze tut, als wäre das weder nötig noch richtig

BERLIN taz ■ Wenn man so optimistisch ist wie die Grünen in Münster, dann fehlt eigentlich nur noch ein einziger Kreisverband, um einen Sonderparteitag zur Sozialpolitik zu erzwingen. Laut Satzung werden dazu zehn Prozent aller Kreisverbände benötigt, macht bei 474 genau 48.

„Und 47 Kreisverbände haben wir schon“, meldete gestern Wilhelm Achelpöhler vom Kreisverband Münster, der die Kampagne für einen Sonderparteitag ausgelöst hat. 29 Kreisverbände haben sich auf einer Mitgliederversammlung angeschlossen; weitere 18 Kreisverbände hätten angekündigt, dass sie solche Mitgliedsbeschlüsse demnächst herbeiführen wollen.

Sie alle ärgert, dass die grüne Bundestagsfraktion immer stärker von den Parteiprogrammen abweicht. So wurde nie beschlossen, den Kündigungsschutz zu lockern. Das Wahlprogramm fordert sogar, dass die Arbeitslosenhilfe nicht auf das Niveau der Sozialhilfe sinken darf.

Die grüne Bundesspitze ist nicht begeistert. Parteichef Reinhard Bütikofer hielt die Basisinitiative gestern „politisch nicht für richtig“. Aber man werde die „außerordentlich stark ausgebauten Minderheitenrechte“ natürlich wahren – falls nötig. Denn momentan erkennt der Parteivorstand nur das Votum jener 29 Kreisverbände an, die per Mitgliedsversammlung einen Sonderparteitag eingefordert haben. Beschlüsse von Kreisvorständen werden nicht akzeptiert. „So steht es schließlich in der Satzung“, ergänzte Geschäftsführerin Steffi Lemke.

Einig sind sich alle, dass „enormer Diskussionsbedarf herrscht“. Daher hat der Parteivorstand Sonderangebote ausgearbeitet. So soll im Mai ein öffentlicher „Perspektivenkongress“ in Düsseldorf stattfinden. Was dort geschehen soll, ist bei Achelpöhler bisher „nur als Gerücht angekommen“. Aber er befürchtet, dass „fast nur gesetzte Redner“ auftreten – „angeblich auch solche Wirtschaftskoryphäen wie Lothar Späth“. Gegen „sicherlich belehrenden Sachverstand“ will sich der Münsteraner gar nicht wehren. „Aber wir brauchen jetzt keine unverbindliche Diskussionsveranstaltung, sondern eine innerparteiliche Meinungsbildung.“

Auch darauf hat der Parteivorstand schon eine Antwort. Lemke und Bütikofer wiesen gestern darauf hin, dass im Juni der Länderrat tagt – ausnahmsweise soll es selbst den Kreisverbänden gestattet sein, dort Anträge einzureichen. Achelpöhler reicht dieses Zugeständnis nicht: „Wir wollen nicht nur debattieren, wir wollen auch entscheiden.“ Lemke kann dies nicht nachvollziehen: „Auch ein Länderrat entscheidet.“ Das sei ja gerade das Problem, kontert Achelpöhler: „Wenn die entscheiden, dann weiß man, was rauskommt!“

Der Kreisverband Cham in Bayern sieht dies genauso. Die Forderung nach einem Sonderparteitag wird ganz schlicht begründet: „Man kann das Geld nicht immer von den kleinen Leuten nehmen“, mailte man von dort an Achelpöhler.

ULRIKE HERRMANN

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