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Archiv-Artikel

Die Buchhalter schlagen zurück

Schmuckfarbe grau, Tendenz schwarz: Bertelsmann verkündet ein dickes Plus – trotz der Medienkrise

Von STG

BERLIN taz ■ Ein trotz schwieriger Branchenbedingungen ordentliches Ergebnis konnte Gunter Thielen, der neue Herr im Hause Bertelsmann, gestern verkünden: 936 Millionen Euro vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen bei Europas größtem Medienkonzern – das ist ein Plus von mehr als 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der weltweite Umsatz ging dagegen um 3,5 Prozent auf 18,3 Milliarden Euro zurück.

Den Zusammenbruch des Internetbooms hat der Medienriese auf seine Art bewältigt – indem er aus dem Onlinegeschäft weitestgehend ausstieg. Das Sorgenkind Musik – Bertelmann ist hier die Nummer zwei weltweit – läuft nach drastischen Umbaumaßnahmen wieder besser. Und die RTL-Group, die die TV- und Radiosender bündelt, finanziert ohnehin den Rest.

Dass bei der gestrigen Bilanzpressekonferenz in Berlin trotzdem weder Spannung noch gute Laune aufkam, lag wohl nicht wirklich daran, dass ausgerechnet ein zur Bertelsmann-Verlagstochter Gruner + Jahr gehörendes Wirtschaftsmagazin die Bilanzzahlen schon Mitte vergangener Woche in alle Welt posaunt hatte. Sondern am Auftritt eines Vorstandes, dem jegliches Esprit fehlte: Bertelsmann ist endgültig wieder in den Händen der Buchhalter. Wenn Vorstandschef Thielen von „ganz neuen und erfolgreichen Kreativleistungen“ spricht, ahnt man, was dabei herauskommt: der Weiterverkauf des Formats „Deutschland sucht den Superstar“ in 50 Länder zum Beispiel, wobei Bertelsmann hier nur als Durchreicher die Hand aufhält. Erfunden haben’s – die Engländer.

Spätestens als Thielen ausführte, das „ausgeglichene Portfolio“ des Medienhauses mit TV, Büchern, Buchclubs, Druckereien und Musikgeschäft habe „vor allem in schweren Zeiten den Vorteil, dass man ausgleichen kann“, wünschte man sich den wenigstens ansatzweise visionären Exvorstand Thomas Middelhoff zurück. Der empfahl bei solchen Anlässen der Presse schon mal homöopathische Wässerchen gegen Erkältungskrankheiten – und träumte vom Internet. Weil nun auch im Geschäftsjahr 2002 noch fast 3 Milliarden Euro aus dem von Middelhoff eingefädelten AOL Europe-Verkauf aufs Bertelsmann-Konto regneten, dankte Thielen dem Geschassten immerhin mit einem ganzen Satz: „Auch mein Vorgänger hat natürlich Anteil an diesem Erfolg.“ Dass die Mohns – wie das Handelsblatt gestern meldete – jetzt auch den Kopf von Bertelsmann-Aufsichtsratschef Gerd Schulte-Hillen forderten, dementierte Thielen wortkarg.

Anschließend sagte der früher für die Druckereisparte Avarto zuständige neue Vorstandschef für 2003 noch „deutlich steigende Erträge“ bei stabilem Umsatz voraus, dann war Schluss. Und ein Bertelsmann-Mitarbeiter hinten im Saal meinte: „Ich fühle mich, als hätte ich Erde im Mund.“ STG