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Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Die Pfütze der Weltmacht

Eigentlich bedeutet Boykott Widerstand gegen die Obrigkeit – und nicht gegen französische Winzer

Auf alten Karikaturen wird Captain Charles Boycott als kahlköpfiger Mann mit grauem Bart und rot glühender Schnapsnase dargestellt. Ein Ire eben, der sich mit der irischen Bevölkerung angelegt hatte und am Ende unterlag. 1879 war das, damals hatten sich die Bauern in der Grafschaft Mayo geweigert, ihre Pacht an den besonders widerwärtigen Landbesitzer zu zahlen und Boycott überhaupt geschnitten – nicht einmal in Kneipen wurde er bedient. Als er im Jahr darauf die Ernte von extra angeheuerten Arbeitern unter dem Schutz der Polizei einfahren musste, kostete ihn der Spaß 10.000 Pfund. Boycott gab auf und verließ 1886 Irland verbittert.

Die Idee hat Schule gemacht, mittlerweile treibt der Boykott aber quer zu seinen historischen Wurzeln. In den USA wird dazu aufgerufen, keine französischen Produkte zu kaufen, weil Chirac den Kriegskurs der Bush-Regierung nicht unterstützt. Wütende Texaner sollen bereits französischen Wein auf die Straße gegossen haben, und im Fernsehen sagt ein Mann in Hamburg verängstigt in die Kamera, „dass sie das jetzt auch mit uns machen“. Was stellt der sich vor? Deutschland als Pfütze der letzten verbliebenen Weltmacht? Oder eine Lache aus weinrotem Blut, das demnächst nicht bloß in Irak, sondern auch auf der Reeperbahn fließen soll, als Fortsetzung der heiligen Mission im Zeichen von „enduring freedom“?

Boykott, Embargo und Sanktion sind, so wurde es mir im Geschichtsunterricht jedenfalls erklärt, überlegt eingesetzte ökonomische Druckmittel, mit denen die internationale Gemeinschaft auf missliebige Herrscher reagiert, wenn diese ihrer Meinung nach die politischen Regeln und vor allem die Menschenrechte verletzen. Ergo: keine Geschäfte mit Saddam Hussein! Damit ist selbst eine Freundin aus New York einverstanden, die schon in den Sixties gegen den Vietnamkrieg demonstrierte und heute George W. Bush verachtet. Aber keine fünf Minuten später sind wir uns auch darüber einig, dass dieses Embargo nie so recht funktioniert hat – es hat dafür gesorgt, dass jetzt mehr als 60 Prozent aller irakischen Haushalte vollständig von Nahrungsmittelrationen abhängen, die Saddam für seine Öllieferungen im Rahmen des UN-kontrollierten „Öl für Nahrungsmittel“-Programms einkauft.

Das Regime hat sich allerdings nicht geändert. Wenn Drohung die Botschaft ist, lässt sich zudem schwer zwischen wohlmeinenden und feindlich gesonnenen Autoritäten unterscheiden. Hussein hält sich unter anderem deshalb noch an der Macht, weil die Iraker Sanktionen vor allem als Vergeltung gegen ihr Land empfinden. Der Hunger schweißt zusammen, zur Not auch mit dem Despoten. Nur in Südafrika war die Strategie der Staatengemeinschaft erfolgreich. Dort gab es in der Bevölkerung mit dem ANC aber auch eine politische Alternative zu Kolonialherren. Die Freunde des befreiten Irak dagegen leben im Exil, weit weg von der Bevölkerung, die sich auf ihre Seite schlagen soll. Bislang sind für die Menschen in Bagdad oder Basra jedenfalls nur US-Troopers in Sicht.

Wird der Konflikt mit Europa in Texas oder Washington an der Theke ausgetragen, so läuft der Boykott-Gedanke vollends aus dem Ruder. Stattdessen reiht sich der vormals gegen die Obrigkeit zielende Widerstand ein in nationale Propaganda: Die südkalifornischen Winzer werden sich freuen, wenn die billigere Konkurrenz aus Bordeaux vom Tisch ist.

Aber was sind die Alternativen? Auch bei gutwilligen Aktivistinnen wie Naomi Klein bin ich, bei aller Begeisterung für Verweigerung, vorsichtig. Wenn sie von der Antikriegsbewegung fordert, den Profiteuren zu schaden und Tankstellen, Rüstungsbetriebe oder „raketenselige Fernsehsender“ (taz, 19. 3.) mit Boykott zu bombardieren, übersieht sie die von ihr selbst scharfsichtig analysierte makroökonomische Struktur multinationaler Konzerne, bei denen alles mit allem zusammenhängt. Ohne Benzin stehen die Räder auch in friedliebenden Firmen still, ohne Ted Turners Gewinne mit CNN fällt auch dessen Engagement für humanitäre Organisationen flach. Und hätte nicht jeder Internet-User seinen Computer längst abschalten müssen? Schließlich wurde „das Netz“ in den Sixties vom Pentagon gelegt, in dem die weltweite Gegenöffentlichkeit gleich neben shockandawe.com kursiert?

Auf die deutschen Verhältnisse kann man solche Formen des Protests ohnehin nicht übertragen. An dem Tag, an dem Deutsche nur bei Deutschen kaufen, werde ich mich lieber bei McDonald’s anstellen – zur Not sogar für Freedom Fries.

Fragen zu Märkten?kolumne@taz.de