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Archiv-Artikel

Nachrichtendienst späht Infostände aus

In Hamburg überprüft der Verfassungsschutz jeden, der einen Infotisch anmeldet. Die Linkspartei sieht Engagement unter Generalverdacht gestellt, Datenschützer üben Kritik. Und die mitregierenden Grünen sind gar nicht erst informiert worden

VON KAI VON APPEN

Der Infotisch des Vereins, der für den Organspendepass wirbt. Oder der Infostand der Bürgerinitiative, die gegen einen drohenden Berg aus Hafenschlick vor der eigenen Haustür kämpft. Aber auch der Stand, an dem die Kirche um Spenden für „Brot für die Welt“ bittet – und nicht zu vergessen der Infotisch, an dem die Gewerkschaft gegen Arbeitsbedingungen bei Lidl wettert: Hamburgs Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) möchte alles wissen und die Daten der Anmelder und Informationen über die Veranstalter übermittelt haben. Das hat der schwarz-grüne Senat auf Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der Linkspartei eingeräumt. „Das ist ein offensichtlicher Gesetzesbruch und ein handfester Skandal“, schimpft Christiane Schneider, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion.

In einem Schreiben vom 1. Oktober dieses Jahres an die sieben Hamburger Bezirksämter haben die Verfassungsschützer die Bezirksverwaltungen „ersucht“, das LfV in die Verteilerliste über Infostände aufzunehmen. Dies gilt für Info-Tische jeglicher Couleur, für Organisationen ebenso wie für Einzelpersonen. Dem „Ersuchen“ sind fünf Bezirksämter in vollem Umfang nachgekommen, berichtet der Senat. Auch die Daten zu Tischen, die für November und Dezember genehmigt worden sind, wurden weitergegeben – davon 13 Stände der Kirchen. Im Bezirk Mitte beschränkte sich die Verwaltung darauf, Infostände von Parteien und Organisationen mit offensichtlich politischem Hintergrund zu melden. Lediglich der Bezirk Wandsbek hat bislang gar keine Daten an den Verfassungsschutz geliefert, „da wir das noch für prüfungswürdig halten“, so Sprecherin Sonja Feßel.

Begründet wird der Informationshunger des Nachrichtendienstes, der sich auch auf personenbezogene Daten erstreckt, mit der „Erfahrung, dass Informationen über die Anmeldung von Informationsständen zuvor nur unvollständig und mittelbar über die Polizei an das LfV übermittelt wurden“, gibt der Senat an. Für das LfV sei es zur Aufgabenerfüllung nicht nur erforderlich, Kenntnisse zu erlangen, „wenn die Anmelder extremistische Bestrebungen verfolgen, sondern auch, wenn Störungen durch Extremisten zu befürchten sind“, heißt es. Deshalb würden die von den Bezirksämtern „übermittelten Hinweise vom LfV daraufhin überprüft, ob sie in den Aufgabenbereich des LfV fallen“.

In der Tat erlaubt das Hamburger Verfassungsschutzgesetz, bei den Behörden Informationen und personenbezogene Daten zu erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen – aber nur, „wenn die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutz erforderlich sind“. Dieses Aufgabenprofil zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist in Paragraf 9 des selben Gesetzes streng definiert (siehe Kasten). „Es ist keinesfalls die Aufgabe des Verfassungsschutzes, alle zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitäten in Hamburg zu kontrollieren“, wettert nun Linken-Politikerin Schneider. „Bürgerliches Engagement wird hier unter Generalverdacht gestellt.“

„Das eine ist Erheben, das andere ist Speichern“, sagt Verfassungsschutzchef Heino Vahldiek auf taz-Anfrage. „Daten, die erkennbar nicht mit unserer Arbeit zu tun haben, werden sofort gelöscht“, beteuert der Geheimdienstler. Das betreffe Infotische, die keinen extremistischen Hintergrund erkennen ließen – „oder wenn es keine Anhaltspunkte gibt, dass sich Extremisten dafür interessieren könnten“, so Vahldiek. „Ich wüsste nicht, weshalb sich Extremisten für Organspende interessieren sollten.“

Für Hamburgs Datenschutzbeauftragten bleibt das Vorgehen dennoch unzulässig. „In der Allgemeinheit Daten zu erheben, ist nicht vertretbar“, sagt Hans-Joachim Menzel. „Der Verfassungsschutz hat gewisse Aufgaben, daran muss er sich auch halten.“ Das LfV habe zwar weit gehende Befugnisse, Daten bei Behörden abzufragen, „es müssen aber Anhaltspunkte für eine Gefährdungslage vorliegen“, so Menzel.

Die mitregierenden Grünen sind von der Senatsantwort kalt erwischt worden. „Ich hör’ davon jetzt zum ersten Mal“, sagt die GAL-Innenexpertin Antje Möller der taz. Sie sieht in dem Vorgang „eine völlig überzogene Handlungsweise“. Denn das bisherige Prozedere – dass nämlich die Polizei Infotische melde – reiche völlig aus. „Ich habe den Innensenator um ein Gespräch gebeten“, sagt Möller. Sie könne nicht nachvollziehen, warum eine solche Maßnahme zuvor nicht im Parlamentarischen Kontrollausschuss erörtert worden sei.

Christiane Schneider von der Linkspartei hat CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus aufgefordert, die „uferlose Überwachung“ sofort einzustellen und alle Betroffenen über die Datenerhebung zu benachrichtigen – „damit diese sich gegen die Überwachung und den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht“, so Schneider, „politisch und gerichtlich wehren können“.