Cresson angeklagt

Der früheren EU-Kommissarin droht in Belgien Prozess wegen Unterschlagung und Dokumentenfälschung

BRÜSSEL/BERLIN dpa/taz ■ Knapp vier Jahre nach dem Rücktritt der alten EU-Kommission hat die Brüsseler Justiz ihr Ermittlungsverfahren gegen die frühere EU-Kommissarin Edith Cresson abgeschlossen. Die ehemalige französische Premierministerin der sozialistischen Partei werde der Unterschlagung und Dokumentenfälschung beschuldigt, bestätigte ein Justizsprecher in Brüssel gestern. Neben Cresson sollen nach dem Willen von Untersuchungsrichter Jean-Claude van Espen sieben Beamte und Exbeamte der EU-Kommission angeklagt werden.

Der Untersuchungsrichter habe die Akte an die Anklagebehörde weitergeleitet, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Nach Anhörung der Beschuldigten wird über die Eröffnung eines Prozesses entschieden. Der Fall Cresson und andere Vorwürfe hatten 1999 zum Rücktritt der gesamten EU-Kommission unter Präsident Jacques Santer geführt.

Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht den Angaben zufolge die fiktive, mit 150.000 Euro dotierte Beschäftigung, die Cresson ihrem inzwischen verstorbenen Zahnarzt René Bertholot in der Kommission verschafft haben soll. Bertholot war 1999 als Aids-Experte angestellt worden. Später wurde festgestellt, dass er für diesen Job überhaupt nicht qualifiziert war. Weiterhin sollen den Angaben zufolge Dokumente aus Cressons Mitarbeiterstab verschwunden sein. Den Beschuldigten drohen Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren.

Die ehemals für Wissenschaft, Forschung und Bildung zuständige Kommissarin streitet alle Vorwürfe ab. „Vielleicht war ich ein bisschen unachtsam“, sagte sie kürzlich dem französischen Fernsehsender France 2. In einem anderen Interview sprach sie den Verdacht aus, die gegen sie gerichtete Untersuchung solle „dem Bild Frankreichs“ schaden. In ihren zehn Monaten als französische Premierministerin 1991/92 war sie wegen ihres kompromisslosen Führungsstils ausgesprochen unpopulär und wurde schließlich vom damaligen Präsidenten François Mitterand entlassen. Häufg sorgte sie für Kontroversen. So vertrat sie öffentlich die Meinung, einer von vier britschen Männern sei homosexuell. JS