Ruhe vor dem süßen Baby

Sie sind niedlich, lang erwartet, und jeder mag sie. Wenn das Kind aber trotzdem einmal schreit und nervt, verhilft das Hamburger „wellcome“-Projekt gestressten Eltern zu ein bisschen Ruhe

„Wir sind für den ganz normalen Wahnsinn da, den ein Baby mit sich bringt“

von ANNE HANSEN

Das Baby ist da, die Freude riesig, – und nichts geht mehr. Die meisten Mütter, Väter und Geschwister seien mit einem Baby erst einmal überfordert, erklärt Volker Ragosch, Chefarzt des Perinatalzentrums Altona. „Viele Frauen spielen die Geburt sogar theoretisch durch, doch wenn das Kind dann wirklich da ist, lautet die Devise: Jetzt sehen wir mal, was passiert.“

Damit danach aber nicht das große „Nichts geht mehr“ kommt, gibt es ab heute ein zweites Team des Projekts „wellcome“. Das ist ein Angebot der evangelischen Familien-Bildungsstätte Blankenese und der Elternschule Osdorf. Eine erste Gruppe gibt es bereits in Hamburg-Niendorf. Dort wurde sie 1998 unter der Bezeichnung „Wochenbett-Service“ von den evangelischen Familien-Bildungsstätten Norderstedt und Niendorf-Lokstedt eingerichtet. Noch in diesem Jahr sollen in Schleswig-Holstein und Hamburg zehn Teams gegründet werden.

In dem Projekt geht es darum, Familien in der ersten Zeit nach der Geburt zu unterstützen. „Wir sind für den ganz normalen Wahnsinn da, den ein Baby mitbringt“, erklärt Rose Volz-Schmidt, die Initiatorin von „wellcome“. Dabei handelt es sich um Hilfe ganz unterschiedlicher Art: Von einfachen „Tipps, was man bloß mit einem schreienden Kind machen kann“ über Hilfe im Haushalt bis hin zu zweimal die Woche drei Stunden lang den Kinderwagen um die Alster schieben, damit die Mutter einmal schlafen kann. Die Unterstützung kommt in Form einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin. Meistens sind das Frauen, die „ihre Kinder aus dem Gröbsten raus haben und einfach wissen, wie die Sache läuft“, so Rose Volz-Schmidt.

Karin Jessen aus Niendorf ist eine von ihnen. Sie wollte schon immer ehrenamtlich arbeiten und meldete sich auf eine Ankündigung des Projekts: Am nächsten Tag hatte sie ihren ersten Auftrag. Wenn Karin Jessen von ihrer Arbeit erzählt, wenn sie darüber spricht, dass sie ein enges Verhältnis zu den Kindern aufbaut, dass sie das Geschwisterkind jeden Morgen zum Kindergarten fährt und nach zwei Stunden wieder abholt, dann wirkt sie zufrieden. Obwohl, fügt sie hinzu, manche könnten ihren ehrenamtlichen Einsatz nicht verstehen: „Ich werde oft gefragt, warum ich das überhaupt mache. Ob ich nichts anderes zu tun hätte.“

Volker Ragosch, der das Projekt unterstützt und dafür Werbung in seinem Perinatalen Zentrum macht, findet es bezeichnend, dass manche Menschen so reagieren. Die Gesellschaft habe sich so verändert, dass die Gemeinschaft fehle. Sie könnten sich gar nicht mehr vorstellen, etwas für andere zu tun. Noch dazu ohne Geld, in der wertvollen Freizeit. Hinzu komme, dass zum Beispiel die Bewohner eines Hochhauses sich gar nicht mehr kennen würden. „Natürlich finde ich das Projekt toll, aber es ist doch auch schade, dass man nicht mehr irgendwo einfach klingeln kann.“