Heino spitzelte für die Stasi im Ruhrgebiet

Das Spionage-Ministerium der ehemaligen DDR unterhielt im Ruhrgebiet eigene Firmen und ausgebildete Saboteure. Im Bochumer Stadtarchiv ist bis Ende des Monats die Ausstellung „Staatssicherheit - Garant der SED-Diktatur“ zu sehen

RUHR taz ■ Saboteure der Ex-DDR waren ständig im Ruhrgebiet unterwegs, spionierten den Radiosender in Langenberg aus oder eine Kaserne in Hamm. Angeworbene Agenten bespitzelten Arbeitskollegen und Familienmitglieder, nutzten tote Briefkästen in Gelsenkirchen und geheime Treffpunkte in Bochum.

Einer von ihnen war Heino, so sein Deckname als inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS, nochheute SPD-Mitglied und wohnhaft im Revier. Der ehemalige Bergmann der Zeche Holland arbeitete ausgerechnet bei der Stadtverwaltung in Bochum-Wattenscheid. Er hatte sich in den 60er Jahren freiwillig anwerben lassen, sein Motiv als ehemaliges KPD-Mitglied: Überzeugung, aber auch Geld. Zunächst verriet er den Katastrophenplan der Stadt. Lohn damals: 300 Mark und eine Belobigung der Dienststelle im Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Es folgten Lagepläne des Umspannwerkes, der Trinkwasserversorgung und des Bochumer Schlachthofes. Er lieferte Stempel der Stadt und die Sprengmöglichkeit diverser Brücken – Heino wurde in einer Spezialabteilung für Sabotageakte ausgebildet, konnte Funken und Fotografieren. „Der hat richtig viel geliefert“, sagt Rüdiger Sielaff, Außenstellenleiter des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). Gestern abend hielt Sielaff den Vortrag „War die Stasi auch in Bochum?“. Anlass ist die Ausstellung „Staatssicherheit-Garant der SED-Diktatur“ im Bochumer Stadtarchiv, die noch bis zum 22. Februar zu sehen ist. Am Beispiel Bochum konnte Sielaff zeigen, dass sich die ehemalige DDR auch mit eigenen Firmen im Ruhrgebiet finanzierte und zahlreiche Spitzel vor Ort hatte.

Wie der Stahlarbeiter Werner (IM-Deckname), als „Tipper“ angeworben. Er suchte unter Kollegen und Familienmitgliedern Anwerbekandidaten. „Der hätte lieber mehr für die DDR agitiert, wurde aber zurückgepfiffen“, sagte Sieloff in seinem Vortrag, zitiert aus der erhaltenen Originalakte, darf aber keine realen Namen nennen. Werner war stets hochverschuldet, bettelte ständig um Geld. Erhalten ist von ihm eine Abrechung über 12,50 Mark für Getränke bei einem Treffen mit SPD-Kollegen im Ruhrgebiet. Werner, der auch als Kurier tätig war, fotografierte, was die Kamera hergab. Im Laufe der Zeit wurden seine Bilder immer kurioser. Werner lichtete in Bochum das Ruhrstadion ab, das Planetarium, Höhepunkt seiner Fotografentätigkeit ist das Bild mit der Unterzeile „Das Bordellviertel in Bochum“. Er lieferte Dossiers über seine Mitbewohner, die Verwandtschaft, über den deutsch-polnischen Verein und über die Person „Franz XY“, einen Vorgesetzten beim Bochumer Verein, der Kontakte zur DDR unterhielt. Die Zuhörer im Stadtarchiv schüttelte es, als Rüdiger Sielaff die Tonbandabschrift mit dem Titel „Bericht über meinen Sohn“ abspielt. Heino und Werner stellten Ende der 70er Jahre aus unbekannten Gründen ihre Tätigkeit ein, leben noch heute unerkannt im Revier. Die Bespitzelten können bei der BStU einen Antrag auf Akteneinsicht stellen, doch nicht einmal die Familienangehörigen wissen von der ehemaligen Tätigkeit.

Beim Zusammenbruch der DDR gab es insgesamt 173.000 IMs und 91.000 Hauptamtliche bei der Schattenarmee des MfS. Darunter auch einen Fußballschiedsrichter, der Erich Mielkes Lieblingsverein Dynamo Berlin bevorteilen mußte. Die Bochumer Ausstellung zeigt Flucht- und Spionageutensilien, arbeitet in Bild und Ton die Entwicklung der verhassten DDR-Behörde auf und bietet gerade Schulen einen umfassenden Begleitservice, der bislang nur sporadisch angenommen wird. PETER ORTMANN