: Pardon wird nicht gegeben
Streit über Kasernenname in Leer kocht hoch: Ist von Paul von Lettow-Vorbeck ein Massenmörder und Rassist oder kann er ein modernes Vorbild für junge Soldaten sein? Anfang März wird der Leeraner Stadtrat zum Schauplatz eines traurigen Spektakels
aus Leer Thomas Schumacher
Die taz ist schuld. Sie veröffentlichte einen Artikel zur Erinnerung an den Aufstand der Hereros 1904 gegen die deutschen Kolonialtruppen im heutigen Namibia. Den las die Kreisgrüne Mechtild Tammena aus Leer und war erschüttert. Die Verantwortlichen der Massaker an den Afrikanern waren Lothar von Trotta und Paul von Lettow-Vorbeck – letzterer der Namensgeber der Leeraner Sanitätskaserne, die derzeit zum Standort für eine Schnelle Eingreiftruppe umorganisiert wird.
Tammena forderte daraufhin ihren Parteifreund, Außenminister Joschka Fischer, und dessen Kollegen, Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), in einem Brief auf, den Namen der Leeraner Kaserne zu ändern. Der Namensgeber sei „für den Tod von Millionen Afrikanern/innen mitverantwortlich, mithin nicht würdig als Vorbild für die Bundeswehr zu gelten“. Bis heute antworteten die hohen Herren nicht, aber in Leer löste das Schreiben große Aufregung aus.
„Damit hatte ich nicht gerechnet“, wundert sich Tammena. Denn Streit um den Kasernennamen gibt es seit 20 Jahren – aber für die Kaserne und die Bundeswehr war das noch nie ein Anlass zu Grübeln.
So schlagen sich in Leer auch heuer wieder die üblichen Verdächtigen. Allen voran Gerd Koch, Vorsitzender der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG) im Leeraner Stadtrat. Sein Urteil über die Grünenforderung: „Quatsch!“ Koch muss es wissen. Der wegen Volksverhetzung verurteilte rechte Aktivist findet auch, dass „Juden Abzocker“ seien und Behinderte „der Endlösung zugeführt“ werden könnten. Sein Busenfreund Walter Düngemann, Fraktionsführer der CDU, schließt sich mit gleichem Wortlaut dem Koch-Urteil an. Aber weil die Leeraner CDU eine ernsthafte Partei sein will, schiebt sie eine Presseerklärung nach: Eine Diskussion um die Kaserne gefährde den Standort Leer. Da schweigt die SPD. Sie habe noch Informationsbedarf. Nur der neue parteilose Bürgermeister Wolfgang Kellner, zieht sich den Ärger aller zu: Er möchte die Kaserne gerne in „Ostfriesland“-Kaserne umtaufen.
Aus dem Hintergrund outete sich unterdessen ein Dodo von Knyphausen. Der Ex-Soldat gab an, von Lettow-Vorbeck (1870-1964) gekannt zu haben. Er gab die Ehrenerklärung ab, der General sei pflichtbewusst, ehrenhaft, treu und kameradschaftlich gewesen.
Ganz anders eine Schulklasse. Die hatte sich im Geschichtsunterricht mit von Lettow-Vorbeck beschäftigt und die Generals-Vita mit folgenden Ergebnissen abgerundet: 1901 Niederschlag des Boxeraufstandes in den deutschen Kolonien in China. 1904 Niederschlag des Hereroaufstandes in der Afrika-Kolonie Deutsch-Südwest. Nach den unentschiedenen Gefechten am Waterberg drängten die deutschen Truppen die abziehenden Hereros und ihre Familien in die wasserlose Omabeke Wüste ab. Ergebnis: Von den von Kolonialbeamten zuvor geschätzten 85.000 Hereros gab es 1905 noch 23.000. Militärisch habe der „Sieg“ über die Hereros nichts gebracht, denn kurze Zeit später kämpften die Namas, von den Deutschen „Hottentotten“ genannt, um ihre Freiheit. Als Dank für seine Leistung, im Ersten Weltkrieg durch seine Scharmützel in Afrika gut 100.000 englische Soldaten gebunden zu haben, durfte von Lettow-Vorbeck dann 1919 den Aufstand der Arbeiter in Hamburg niederschießen. 1920 beteiligte er sich aktiv am rechtsgerichteten Kapp-Putsch, um die Weimarer Republik zu eliminieren. Von Lettow-Vorbeck demissionierte nach dem Scheitern des Putsches. 1938 ernannte ihn Hitler zu seinem General zur besonderen Verwendung. Im gleichen Jahr wurde auch die Leeraner Kaserne nach ihm benannt.
Urteil der SchülerInnen: „Der Mann ist kein Vorbild.“ Die Bundeswehr schweigt. Die Grünen wollen Anfang März im Leeraner Stadtrat den Antrag stellen, die Stadt solle sich für eine Umbenennung der Kaserne einsetzen. Die Zwischenrufe von CDU und AWG kennen wir schon heute: „Quatsch.“