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Archiv-Artikel

Keine Freunde der Jüngsten

Kinderschutzbund stellt Wahlprüfsteine auf und zieht zugleich verheerende Bilanz der Kinder- und Jugendpolitik: Elementare Rechte des Nachwuchses vernachlässigt

„Die Lage eines großen Teils der Kinder ist beschämend für unsere so reiche Stadt“, empört sich Wulf Rauer, Vorsitzender des Hamburger Kinderschutzbundes. Anlässlich der Neuwahl stellte der Verein gestern zehn Prüfsteine für eine kinderfreundliche Stadt vor. Die Bilanz ist verheerend: Elementare Rechte etwa auf Gesundheit, Verkehrssicherheit, Wohnraum und Tagesbetreung sind für „große Teile der Kinder nicht in Ansätzen realisiert“, rügten die Schützer. Vor elf Monaten hatten sie schon einmal die jugendpolitischen Sprecher von Regierung und Opposition Stellung nehmen lassen. Rauers Fazit: „Den vollmundigen Versprechungen zur wachsenden kinderfreundlichen Stadt sind viel zu wenig Taten gefolgt.“

Als „Skandal“ bezeichnete der Erziehungswissenschaftler, dass in Hamburg 20 Prozent aller Kinder von Sozialhilfe leben. „Politik für oder gar mit Kindern ist hier kaum etabliert.“ Als Resultat solcher Missachtung führte Rauer gesundheitliche Schäden an. So leide hierzulande jedes fünfte Kind an Übergewicht. Auch das Unfallrisiko auf den Straßen sei in keiner deutschen Großstadt so groß wie in Hamburg. Jährlich verunglückten hier etwa 1.000 Kinder, ein Viertel davon schwer. Während jedem Auto in Hamburg zwölf Quadratmeter Parkfläche zur Verfügung stünden, werde Kindern gerade mal ein Viertel der Fläche zugestanden.

Auch die Tagesbetreuung bemängeln die Schützer. So habe das Gutschein-System dazu geführt, dass besonders Kinder aus armen Familien bei der Platzvergabe leer ausgingen. Neben „ausreichender Tagesbetreuung“ fordert der Verein „ mehr bezahlbare und größere Wohnungen für Familien“. So verbrauchten kinderlose Paare im Schnitt 18 Prozent ihres Einkommens für Miete, Familien mit mindestens drei Kindern hingegen ein Viertel ihrer Mittel. Rauer bilanzierte: „Wenn Hamburg kinderfreundlich werden will, ist viel zu tun.“

Die Parteien ließen es sich indes nicht nehmen, auf die Mängelliste zu antworten. Für die Tagesbetreuung verspricht die regierende CDU einen Rechtsanspruch der Drei- bis Sechsjährigen auf fünf Stunden, die SPD will eine sechste Stunde dazu geben (siehe Text oben). Sicheren Straßenverkehr will die CDU durch „weniger LKWs und mehr Kontrollen“ erreichen. Die GAL forderte zudem mehr Baumaßnahmen wie Querungen oder Poller, die Kinder im Verkehr schützen und die Fuß- und Radwege von Autos freihalten.

Mehr schulärztliche Visiten sollen aus FDP-Sicht der Gesundheit dienen. CDU und SPD favorisieren Ernährungskunde ab dem dritten Lebensjahr. Bei der Versorgung mit Wohnungen setzen SPD und GAL auf die Förderung öffentlichen Baus. Der Rechts-Senat wolle den Markt „zu Gunsten der Vermieter deregulieren“, rügte die GAL. „Ohne Regulierung geht Familienförderung da nicht.“ EVA WEIKERT