: „Strategien der sozialen Bewegungen müssen auf Machtanalyse beruhen“, sagt Pat Maher
Die US-Friedensbewegung wäre stärker gewesen, wenn sie auch Bushs „Krieg gegen die Drogen“ thematisiert hätte
taz: Seit Wochen verfolgen nicht nur die Amerikaner gebannt, wen die Demokraten als Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Haben sie gegen George W. Bush überhaupt eine Chance?
Pat Maher: Da bin ich ganz optimistisch. Es hat sich ein unglaublich breit getragener Konsens in den verschiedensten Bewegungen gebildet, dass wir uns vier weitere Jahre Bush auf keinen Fall leisten können. Deshalb werden wir hart für einen Wahlsieg der Demokraten kämpfen, obwohl viele von uns auch mit den demokratischen Kandidaten nicht wirklich glücklich sind.
Wieso gelang es bisher nicht, den gesellschaftlichen Rechtsruck in den USA zu stoppen? Haben soziale Bewegungen da versagt?
Nein, auf keinen Fall. Ohne den Kampf der Frauenbewegung gäbe es in den USA die Möglichkeit zu legaler Abtreibung sicher überhaupt nicht mehr. Ohne die Bürgerrechtsbewegung wäre „Affirmative Action“ mit Sicherheit vollständig beendet. Aber ich will nicht abstreiten, dass soziale Bewegungen mehr erreichen könnten. Manchmal fehlt ihnen schon das grundlegend: eine durchdachte Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Auf einer solchen Machtanalyse müssen die Diskussionen über Ziele, Forderungen und Strategien aufbauen, sonst besteht die Gefahr, dass soziale Bewegungen in unwirksamen Aktionismus verfallen.
Sind Ihnen große Unterschiede zwischen sozialen Bewegungen in Deutschland und den USA aufgefallen?
Ich war sehr überrascht festzustellen, dass in den meisten Bewegungen das Thema Rassismus fast überhaupt nicht diskutiert wird. Dabei haben wir immer wieder aufs Neue erfahren, dass die fehlende Beschäftigung mit Rassismus die meisten sozialen Bewegungen in den USA gespaltet und geschwächt hat und auch noch heute spaltet und schwächt. Denn leider sind auch in den USA die meisten Bewegungen weit davon entfernt, Rassismus ausreichend aufgearbeitet zu haben.
Worauf führen Sie das zurück?
Schauen Sie sich die jetzige Antikriegsbewegung an. Letztes Jahr haben sich viele Aktivisten darüber ereifert, dass sich nur relativ wenige Schwarze an den Protesten beteiligt haben. Dabei ist es kein Wunder, wenn man ihre Situation kennt. Viele schwarze Wohngegenden stehen quasi unter militärischer oder polizeilicher Besatzung. Die Militarisierung unserer Städte und der so genannte Krieg gegen die Drogen hätte man leicht mit dem Krieg gegen den Irak verbinden können. Das hätte zu einer breiteren und stärkeren Friedensbewegung geführt. Bevor wir erwarten können, dass sich Minderheiten mit unseren Anliegen solidarisieren, müssen wir uns mit deren Anliegen solidarisieren. Wie viele Weiße sind auf Demonstrationen gegen Polizeiwillkür anzutreffen? Ich sage: fast keine.
Aber lassen sich diese Erfahrungen wirklich auf Deutschland übertragen?
Auf jeden Fall. Beides sind Länder, die von einer weißen Dominanzkultur durchzogen sind. Insbesondere beim Thema Sozialabbau könnte die Mobilisierung eine ungeheure Stärke gewinnen, wenn versucht würde, die Anliegen und die Perspektive von Migranten und Flüchtlingen mit denen der weißen Unterschicht zu verbinden. Da ist vor allem die globalisierungskritische Bewegung gefragt. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Impuls, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, anscheinend von außen kommen muss. Wir von Haymarket erwarten von den Gruppen, die wir unterstützen, eine Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wird das von den Gruppen nicht als Bevormundung wahrgenommen?
Grundsätzlich nein, weil ja Aktivisten aus lokalen Gruppen dieses Programm beschlossen haben und auch über die Vergabe der Zuschüsse entscheiden, und nicht unsere StifterInnen.
Lassen sich Ihre Stifter „gefallen“, dass sie an der Vergabe der Zuschüsse nicht beteiligt werden?
Ja. Um dies zu verstehen, ist es wichtig, unsere Geschichte zu kennen. Haymarket wurde 1974 von jungen Erben gegründet, die selbst in der schwarzen Bürgerrechts- und Frauenbewegung engagiert waren. Geprägt von den Erfahrungen und Diskussionen in diesen Bewegungen wollten sie nicht nur ihr Vermögen umverteilen, sondern auch die damit verbundene Macht. Deshalb haben sie sehr bewusst eine Struktur gewählt, in der sie auf die Mitsprache verzichten. Es sprechen aber auch inhaltliche Aspekte dafür, die Entscheidung über Zuschüsse in die Hände von Aktivisten zu legen. Wir haben im Lauf der Jahre die Erfahrung gemacht, dass niemand besser entscheiden kann, welche Projekte und Gruppen einer Förderung am meisten bedürften, als die von sozialer Ungerechtigkeit oder Rassismus betroffenen Menschen.
Haymarket organisiert alle zwei Jahre so genannte „Wealth Conferences“. Wie passt denn das mit eurer Idee von sozialem Wandel zusammen?
Sehr gut, denn das zentrale Ziel dieser Konferenzen ist es, vermögende Menschen dazu zu ermutigen, ihr Vermögen in sozialen Wandel zu stecken. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele linke Vermögende sich schämen, wohlhabend zu sein, und deshalb ihre finanzielle Situation verdrängen. Statt selbst darüber nachzudenken, wie sie ihre Privilegien einsetzen können, um ihre Ziele zu erreichen, überlassen sie das Fondsmanagern.INTERVIEW: FELIX KOLB