Eine Elefantin irrt sich nicht

Mit unprätentiösen Bildern und ihren beiden Laienschauspielerinnen hat die chinesische Filmemacherin Li Yu ihr Debüt „Fish & Elephant“ als lesbische Coming-out-Story gedreht

von CLAUDIA LENSSEN

Die 16-mm-Kamera in „Fish & Elephant“ lenkt nicht, sie registriert. Die Amateurschauspieler verharren lieber einige Momente lang in Ruhe, anstatt Gefühlsgrimassen auszuspielen. Es gibt wiederkehrende Schauplätze, die eher vorgefunden und nicht durchgestaltet wirken, dazu keine Filmmusik. Dieser chinesische Debütfilm nutzt seine Low-Budget-Mittel, um völlig unaufgeregt vom Leben in Peking zu erzählen. Es ist heiß, Schweiß perlt auf der Haut, niemand scheint Sinn für dramatische Aktionen zu haben – phlegmatisch wirkt sogar der kleine Showdown am Ende.

Gefühle finden ihren Ausdruck in kleinen Gesten. Vieles, was war und was sein könnte, muss man sich zwischen die Bilder denken, denn der elliptische Schnitt lässt Lücken. Die dreißigjährige Autorin, Regisseurin und Cutterin Li Yu vertraut einem vielleicht von ihrer Dokumentarfilmarbeit herrührenden Prinzip: Atmosphärisch starke Augenblicke sollen sich zu einem Ganzen komplettieren, von einer in Schnitt und Gegenschnitt gehälfteten Logik der richtigen Anschlüsse hält sie nicht viel.

Aber allein für so viel Balance zwischen Probestück und Anti-Mainstream kommt auch in Zeiten des cineastischen Asien-Hype kein Film ins Filmfestival von Venedig. „Fish & Elephant“ gelang der Sprung dennoch vor zwei Jahren, weil der Film ein Tabu aufgreift, weil er mit seinen unprätentiösen Mitteln davon erzählt, wie die Moderne in China auch in die privaten Beziehungen vordringt.

Li Yu, die bislang als TV-Autorin und Dokumentaristin arbeitete, stützte sich auf ein authentisches Liebespaar und drehte mit den beiden jungen Frauen Pan Yi und Shi Tau ihren ersten Film über eine lesbische Beziehung. Nicht Außenseitertum und klägliches Scheitern interessieren Li Yu an ihrem prototypischen Geschichtenentwurf, vielmehr das Fluidum einer beharrlichen Sanftheit, in der die Liebe der zwei selbstverständlich und lebbar wirkt. Thema ist, wie die Macht der Normen allmählich an Kraft verliert. Die Unsicherheit über männliche und weibliche Rollen, die Tatsache individueller Lebensentwürfe macht schließlich auch ihr Coming-out möglich.

Mädchen brauchen einen Freund, müssen heiraten und Kinder bekommen – diese eingefleischte „chinesische Weisheit“ wird ironisch als leer laufendes Ritual gezeigt. Xiao Qun (Pan Yi), die sich sicher ist, dass sie Frauen liebt, lässt ihre Mutter aus Rücksicht gewähren, ihr über eine Partneragentur heiratswillige Kandidaten zum Rendezvous aufzudrängen. Das sanfte und beharrliche Mädchen (sie ist Elefantenwärterin im Zoo) lebt längst mit Xiao Ling, einer Klamottenverkäuferin, zusammen, als die allein stehende Mutter zu ihr zieht und immer deutlicher ihre eigene Frustration mit Zukunftsplänen für die Tochter kompensieren will.

Dabei nimmt die Regisseurin alle Generationenbeziehungen sehr ernst. Was Eltern ihren Kindern antun, wie Kinder den Druck der Eltern zurückweisen, wie überhaupt stimmige Mutter-Tochter- bzw. Vater-Sohn-Verhältnisse als Glücksstrom auch die Älteren in neue Lieben mitreißen können, wird zum zweiten Leitmotiv.

Später kommt auch ein anderes Mädchen ins Spiel. Es repräsentiert die Realität brutaler Generationenverhältnisse. Das Punkmädchen hat seinen Vater und Vergewaltiger getötet, fordert Fluchthilfe von seiner ehemaligen Geliebten Xiao Qun und bringt die ungetrübte Harmonie des neuen Paares ins Wanken. Eine zur Action-Film-Geste verknappte Schießerei im Elefantenhaus verzögert das vorsichtige Happyend.

Sentimental ist Li Yus Film nicht, aber immerhin stellen die Gesprächspartner von Xiao Qun lakonisch fest, dass chinesische Menschen in Sachen Gefühle und Liebes(Un)ordnungen womöglich von westlichen Individuen nicht zu unterscheiden seien.

Im fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg; genaue Termine siehe cinema-taz