: „Angst ist das Gefährlichste“
Der US-Amerikaner Aaron Richardson demonstriert weiter gegen den Irakkrieg, während in seiner Heimatstadt LaPorte die Stimmung kippt. Seine Verwandten machen sich Sorgen um Aaron in Berlin
von CHRISTOPH TITZ
Wenige Stunden nach den ersten Angriffen auf den Irak saß der 26-jährige Student aus den USA nervös vor dem Rechner und schrieb eilig an einer Presseerklärung der „Americans in Berlin against the war“. Während im Irak die Offensive der Koalition stockt, lahmt auch das Engagement bei Aaron in der Naunynstraße.
„Es ist zur Zeit nicht so viel in Bewegung“, sagt Aaron und nippt an seinem Kaffee. Damit meine er nicht die Antikriegsaktivitäten der „Americans in Berlin against the war“, schiebt er schnell nach, sondern den Vormarsch der Koalierten im Irak. Doch so, wie er am Tisch sitzt, ist vom Elan von vor einer Woche nicht viel zu spüren, als er den ganzen Vormittag am Telefon den Text der Presseerklärung abstimmte und BBC im Radio lief. Sein Kaffeebecher am heutigen Vormittag trägt die Aufschrift „Faulenzertasse“.
Ganz stimmt dieser Eindruck nicht. Neuigkeiten gibt es von der Gruppe der amerikanischen Kriegsgegner: „Am Samstag ist eine Demo von Attac angekündigt, da werden wir teilnehmen und wie immer an den Montagsdemonstrationen.“ Außerdem arbeite man jetzt mit einer Antikriegsinitiative von US-Amerikanern in Amsterdam zusammen, laut Aaron der größten in Europa.
Anders sieht es in Aarons Heimatstadt, der Kleinstadt LaPorte im US-Bundesstaat Indiana, zwei Autostunden von Chicago entfernt, aus. Stolz zeigt Aaron einen Zeitungsartikel aus der Lokalzeitung, dem LaPorte Herald-Argus, her. Dort steht, 70 Menschen hätten am Montag vor Beginn des Krieges gegen einen Angriff auf den Irak demonstriert. Die zeitgleiche Demo der Kriegsbefürworter zählte nur 6 Teilnehmer.
Die Online-Umfrage des Herald-Argus spricht heute, eine Woche nach Kriegsbeginn, eine andere Sprache. Sie ist zwar wenig repräsentativ, doch über drei Viertel der Leser der Homepage befürworten den Krieg. Seine Eltern seien noch immer auf Antikriegskurs, versichert Aaron. Sie befänden sich aber im gleichen Dilemma wie die meisten Amerikaner: „Sie sind prinzipiell dagegen, finden aber, man muss die Soldaten unterstützen.“
Aaron ärgert sich über deutsche Fernsehberichte, in denen Amerikaner sich mit Wasser- und Nahrungsvorräten auf mögliche Anschläge vorbereiten. „Das sind einige Dumme, die ausflippen“, glaubt er. In LaPorte gebe es jedenfalls nur Bauernhöfe, da könne nichts passieren.
Größere Sorgen als um sich selbst machten sich seine Verwandten um ihn. Diese Furcht findet Aaron amüsant. „Meine Oma war erschrocken, als ich ihr sagte, dass wir hier nur zwei Stunden Zeitunterschied zu Bagdad haben“, erzählt er. Aaron sagt, er selbst fürchte sich nur vor der zunehmenden Gewaltbereitschaft auf den weltweiten Demonstrationen. Besonders habe ihn das Vorgehen der Polizei in Hamburg schockiert, die mit Wasserwerfern eine Schülerdemonstration auflöste.
Der Kriegsverlauf überrascht den amerikanischen Mathematikstudenten nicht. „Regierung und CIA haben die Lage krass unterschätzt“, sagt er. Besonders mit der Unterstützung der Schiiten im Süden des Irak zu rechnen sei ein Fehler gewesen. „Diese Leute vergessen nicht so einfach, dass sie im letzten Golfkrieg von den USA im Stich gelassen wurden, nur in Washington vergisst man schnell“, sagt Aaron. Er habe von Anfang an nicht mit einem schnellen Krieg gerechnet. Eine Prognose, wie lange es noch dauern könnte, will er aber nicht abgeben. Ein Problem für Bush werde es, wenn der Krieg länger als vier Wochen dauert. „Nach einem Monat werden die Leute zu Hause unruhig.“ Das habe man schon bei den Angriffen auf Afghanistan erlebt.
Seit ein paar Tagen hängt an der Telefonzelle in der Naunynstraße ein Boykottaufruf für etwa 80 US-amerikanische Produkte. „Ich finde das lächerlich“, sagt Aaron. Erstens ändere das nichts, und zweitens sei nicht die Wirtschaft schuld an dem Krieg. Aaron kann sich auch nicht vorstellen, dass der Hauptgrund für den Krieg das irakische Öl ist. Der US-Präsident versuche, mit diesem Krieg Stärke zu beweisen. „Seit dem 11. September 2001 haben alle Amerikaner Angst und fühlen sich verletzt.“ Diese kollektive Furcht bei gleichzeitiger Ohnmacht entlade sich nun im Irakkrieg. „Diese massenhafte Angst“, sagt Aron, „die ist das Gefährlichste.“