: Guter Wille und wenig mehr
Wie Gehörlose die Welt erleben, wollte in Rendsburg die Ausstellung „Schattensprache“ ihren Besuchern zeigen – und zugleich Arbeitsplätze für Behinderte bereit stellen. Die bekamen dann zwar meist nur Ein-Euro-Jobs, Fördermittel flossen dennoch
Handzeichen, Gesichtsausdruck, Körpersprache, Gebärden: Wie vielfältige Möglichkeiten es gibt, sich lautlos zu unterhalten, zeigt die Ausstellung „Schattensprache“. Die Besuchergruppen vertrauen sich einem gehörlosen Guide an. Ein ähnliches Konzept setzt der „Dialog im Dunkeln“ in Hamburg um: Hier führen blinde Menschen die Gäste durch dunkle Räume. Zum „Dialog“ baten die Macher der Ausstellung in 20 Ländern, seit April 2000 existierte der feste Standort in Hamburg. Auch „Schattensprache“ lief erfolgreich im Ausland, unter anderem im Januar 2008 beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Rendsburg, 100 Kilometer nördlich von Hamburg, sollte der erste feste Standort sein. Warum hier die Gästezahlen weit hinter den Erwartungen zurückblieben, ist unklar. Gehofft hatten die Organisatoren unter anderem auf Schulklassen, die jedoch seltener kamen als gedacht. Auch der Touristenzustrom war geringer als erwartet. EST
VON ESTHER GEISSLINGER
Mit Kopfhörern treten die Besucher ein in eine lautlose Welt, begleitet von gehörlosen Guides, die ihnen beibringen, wie sich mit den Händen reden und mit den Augen hören lässt: Als Anfang 2007 im schleswig-holsteinischen Rendsburg die Ausstellung „Schattensprache“ eröffnet wurde, waren die Erwartungen groß: Die kleine Schwester des Hamburger Blindenprojekts „Dialog im Dunkeln“ sollte Touristen anlocken und nebenbei Gehörlose in Arbeit bringen. Inzwischen steht fest, dass die Ausstellung Ende dieses Monats schließt – Besuchermangel. Viele Entlassungen gibt es dabei aber nicht: In der „Schattensprache“ arbeiten fast durchweg Ein-Euro-Jobber – gegen alle Vorsätze.
Die gehörlose Hanna Lehmann (Name geändert) war selbst mehr als ein Jahr lang als Ein-Euro-Kraft dabei: In den Spitzenzeiten habe es dort 33 Mitarbeiter gegeben, erzählt sie „davon hatten acht Gehörlose feste Verträge als Führer, zwei Hörende arbeiteten in der Geschäftsstelle. Ein bis zwei weitere Schwerbehinderte arbeiteten am Empfang. Alle anderen waren Ein-Euro-Kräfte.“
Auf eine Anfrage der CDU-Fraktion hatte die Landesregierung indes im Januar 2008 stolze „28 Arbeitsplätze“ attestiert – „davon 26 für Menschen mit Behinderungen“. Oliver Breuer, Sprecher des Sozialministeriums, relativiert: Gemeint seien Beschäftigte, nicht aber Vollzeitstellen. Die Ein-Euro-Jobber freilich fallen auch bei dieser Interpretation aus der Statistik. Zumal für diese Kräfte nicht die auf Gewinn ausgerichtete Schattensprache GmbH zuständig ist, sondern „New Start“, eine Tochtergesellschaft des gemeinnützigen Unternehmens Brücke Rendsburg-Eckernförde.
„Ich sehe nicht, dass Gehörlose in Arbeit gebracht wurden“, sagt Gerlinde Gerkens, Vorsitzende des Gehörlosen-Verbandes Schleswig-Holstein. Stattdessen seien sie „viel zu lange auf Ein-Euro-Stellen“ geblieben. Vor allem ärgert sich Gerkens darüber, dass das Projekt reichlich mit Geld aus der so genannten Ausgleichsabgabe ausgestattet wurde – diese wiederum müssen Betriebe entrichten, wenn sie keine oder zu wenige Behinderte beschäftigen.
Hinter der Rendsburger Ausstellung steht die erwähnte Schattensprache GmbH, deren Geschäftsführer Andreas Heinecke schon den „Dialog im Dunkeln“ entwarf, der seit Jahren erfolgreich in Hamburg und anderswo läuft. Als Wanderausstellung erzielte auch „Schattensprache“ sehr gute Besucherzahlen.
Eben das machte das Land sicher, eine Touristenattraktion nach Rendsburg geholt zu haben: 750.000 Euro aus der Ausgleichsabgabe flossen, weitere 100.000 folgten im Sommer, um den Betrieb wieder abzuwickeln. Die Fördersumme sei mit den Richtlinien zu vereinbaren, sagt Hanna-Elisabeth Deußer, Referatsleiterin im Sozialministerium. Dass allerdings Ein-Euro-Kräfte die Arbeit hinter den Kulissen erledigten, war ihr bis zur taz-Anfrage nicht bekannt – die Zuständigkeit für das Projekt lag bis vor kurzem beim Integrationsamt, einer Unterbehörde des Ministeriums.
Dort habe man von den Billig-Beschäftigten gewusst, erklärt „Schattensprache“-Geschäftsführer Heinecke. Alles sei korrekt angemeldet und mit den Jobcentern besprochen gewesen. „Die Beschäftigungs-Maßname wurde eigens für die Ausstellung aufgelegt“, sagt auch „New Start“-Geschäftsführerin Heike Rullmann: Die regulären Jobs hätten sich „aus dem Ausstellungsbetrieb ergeben“ sollen.
„Der Einsatz dieser Kräfte ist fester Teil des Konzepts“, sagt Heinecke sogar: Auch in Hamburg, beim „Dialog im Dunkeln“, würden Ein-Euro-Jobber eingesetzt. Er spricht von 50 bis 70 Hilfskräften, die „die üblichen zehn Monate“ lang beschäftigt würden.
Grundsätzlich ist ein Ein-Euro-Job auf sechs Monate begrenzt – bei „Schattensprache“ blieben die meisten Kräfte also deutlich länger. „Man hat ein bisschen den Eindruck, dass sich die Fallbetreuer der Job-Center gedacht haben: Arbeitslose Gehörlose passen automatisch ins Gehörlosenprojekt“, erklärt der Gehörlosen-Verband.
Auch für die fest angestellten Guides sei „Schattensprache“ nicht immer ein Vorteil gewesen, bedauert die Verbandsvorsitzende Gerkens: „Viele haben Berufe, aus denen sie für dieses Projekt ausgestiegen sind. Es ist fraglich, ob sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert haben.“ Begrüßenswert sei sicher die Idee, über Gehörlosigkeit aufzuklären – „aber das hätte man billiger haben können.“
Das Land werde genau prüfen, ob alle Fördermittel korrekt verwendet wurden, verspricht Hanna-Elisabeth Deußer vom Sozialministerium: „Wenn zu viel gezahlt wurde, holen wir jeden Cent zurück.“ Bisher sei die Zusammenarbeit mit Andreas Heinecke gut gewesen, seien alle Fördergelder gegenfinanziert worden. Der taz sagt Heinecke: „Für mich war der Misserfolg in Rendsburg eine Riesenenttäuschung. Ich habe beträchtliche Summen hineingesteckt, um die Verluste auszugleichen.“ Zuletzt wurde offenbar sogar an Einrichtung und Reparaturen gespart, berichtet ein Insider: „Es hieß immer nur, es sei kein Geld mehr da.“