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Archiv-Artikel

Dem Terror schutzlos ausgeliefert

Geheimstudie des Bundesumweltministeriums beweist: Norddeutsche Atommeiler halten Flugzeugangriff nicht stand. Ein Super-GAU ist möglich. AKW Brunsbüttel ist besonders gefährdet. Was für Behörden daraus folgt, ist „offen“

aus Hamburg Marco Carini

Das Thema ist brisant, die Studie streng geheim. Was passiert, wenn Terroristen ein Passagierjet in ihre Gewalt bringen und auf ein Atomkraftwerk lenken – diese Frage untersuchte im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Die Antworten liegen seit über einem Jahr vor – und verschwanden seitdem in den Behörden-Panzerschränken.

Offizielle Begründung für die amtliche Geheimniskrämerei: Terror-Organisationen könnte das Gutachten als Gebrauchsanweisung für einen Anschlag dienen. Doch es gibt einen weiteren Grund: Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend. Dem Terror aus der Luft, so ihre Kernaussage, wären die Atommeiler fast schutzlos ausgeliefert.

Fünf Reaktoren untersuchten die Gutachter, darunter die Hamburg-nahen Atommeiler Krümmel und Brunsbüttel. Sie simulierten dabei verschiedene Absturzszenarien – große und kleine Passagierjets wurden mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf verschiedene Reaktorteile gestürzt.

Besonders beim Uralt-Meiler in Brunsbüttel, der gar keinen baulichen Schutz gegen Flugzeugcrashs besitzt, wären die Folgen verheerend. Kein einziges Szenario, in dem ein Jet das Reaktorgebäude trifft, ist nach Auffassung der Gutachter sicher beherrschbar. Je nach Einschlagsstelle wäre die „Beherrschung“ des Kraftwerksbetriebs im besten Falle „fraglich“, im schlechtesten aber eine „erhebliche Freisetzung“ des radioaktiven Inventars so gut wie sicher. Im Klartext: Bei einem Volltreffer droht der Super-GAU mit einer radioaktiven Verstrahlung, die über den Fall-out von Tschernobyl hinausgehen könnte. Selbst bei kleinen Passagiermaschinen, die nur mit geringer Geschwindigkeit auf das Kraftwerks-Herzstück treffen, wäre eine Katastrophe fast unvermeidlich.

Etwas besser sieht es beim Siedewasserreaktor in Krümmel aus, dessen Schutzhülle zumindest dem Aufprall eines Phantom-Jets standhalten soll. Hier käme es in vier von sechs untersuchten Fällen zu einem „beherrschbaren Ereignisverlauf“. Nur wenn eine große Maschine – etwa ein Airbus 340 – mit hoher Geschwindigkeit in den Reaktor einschlüge, geriete das Kraftwerk wohl außer Kontrolle. „Beherrschung fraglich“, heißt es für diesen Fall in der Studie.

Ähnlich sieht es bei einem Luftangriff auf das jüngste norddeutsche Kraftwerk, den Druckwasserreaktor Brockdorf aus. Hier erstellten die Atomexperten keine „anlagenspezifische Analyse“, sondern übertrugen ihre Sicherheitsexpertise des nahezu baugleichen Atommeilers Emsland auf das schleswig-holsteinische AKW. Auch bei diesem Kraftwerkstyp, so die GRS, seien die Folgen einer Detonation eines Großraumjets mit hoher Geschwindigkeit nur dann in jedem Fall sicher beherrschbar, wenn eine „frühzeitige Eingriffsmöglichkeit durch das Anlagenpersonal“ noch möglich sei.

Obwohl die Ergebnisse der Studie seit Ende 2002 den Reaktorsicherheitsbehörden bekannt sind – praktikable Sicherheitskonzepte gegen den Terror aus der Luft liegen bis heute nicht vor. So kann auch die Sprecherin des für die Sicherheit von Brunsbüttel, Brockdorf und Krümmel zuständigen Kieler Sozialministeriums, Elisabeth Zimmermann, nicht verhehlen, dass ihre Behörde mit leeren Händen dasteht. „Offen ist noch die Frage, welche abschließenden Forderungen hinsichtlich des gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturzes aus der GRS-Studie zu ziehen sind“, so Zimmermann.

Das Gutachten steht auf der Internetseite des BUND: www.bund.net