: Unerwünschte Kontaminationen
Jahrelang schaute die brasilianische Regierung zu, wie Gentechsoja ins Land geschmuggelt wurde. Verbraucher- und Umweltschützer fordern ein Gentechmoratorium. Zuerst müssen die Folgen für Umwelt und Gesundheit untersucht werden
von GUDRUN FISCHER
Brasiliens Dilemma mit illegalem Gensoja begann, als der frühere Präsident Fernando Henrique Cardoso 1996 eine Wissenschaftskommission mit unklaren Vollmachten ins Leben rief: die Technische Nationale Kommission für biologische Sicherheit, kurz CTNBio genannt. Zwei Jahre später, 1998, verkündete die CTNBio, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ungefährlich und in Brasilien nun zugelassen seien.
Umweltgruppen versuchten diesen Beschluss wieder zu kippen. Die nationale VerbraucherInnenorganisation Idec sowie Greenpeace-Brasilien zogen gegen diese Verordnung vor Gericht. Mit Erfolg: Die Verordnung wurde außer Kraft gesetzt.
Der Richter Antonio Souza Prudente bestätigte in seinem Gerichtsurteil im Juni 2000 die Umwelt- und Verbraucherorganisationen: Anbau, Vertrieb und Konsum gentechnisch veränderte Organismen und Pflanzen blieben in Brasilien so lange verboten, bis Studien durchgeführt würden, die bewiesen, dass für Menschen und Umwelt keine nachteiligen Folgen auftreten. Gegen dieses Urteil legten Monsanto und die ehemalige Regierung Cardoso Berufung ein. Die Berufung wurde in der ersten Instanz abgewiesen. Das Verfahren in zweiter Instanz steht an.
Obwohl damit der Anbau, Konsum und der Verkauf von gentechnisch veränderten Pflanzen und Organismen in Brasilien verboten sind, gibt die neue Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zu, dass ein signifikanter Anteil, wahrscheinlich um die 15 Prozent, des in diesem Jahr noch zu erntenden Soja gentechnisch verändert ist. Hauptsächlich kommt dieses Soja aus dem südlichsten Bundesland Brasiliens, aus Rio Grande do Sul.
Seit 1997 wurde vom Nachbarland Argentinien gentechnisch verändertes Sojasaatgut hereingeschmuggelt. Die mächtige Landwirtschaftskammer des südlichsten Bundesstaates Brasilien steht hinter den das Gesetz brechenden Landwirten. Sie verlangt, dass GVOs in Brasilien zugelassen werden. Ansonsten werde sich im ganzen Land Chaos ausbreiten. Doch das Chaos hat eigentlich die vorherige Regierung Cardoso verursacht, die mehrmals verkündete, Gensoja werde bald zugelassen. Sie hat den illegalen Anbau nicht kontrolliert.
In den letzten Tagen ist nun die Regierung Lula am Rotieren. Sie muss entscheiden, was mit der frischen verseuchten Ernte aus Rio Grande do Sul passieren soll. Um von der neuen Ernte wenigstens an China, das kein Gensoja importieren möchte, verkaufen zu können, wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der bis zum 20. September gilt. Soja aus Brasilien wird mit einem provisorischen Zertifikat versehen, das informiert: Brasilianisches Soja ist gentechnikfrei. Es befinde sich aber in der Ernte eine bestimmte Menge illegalen Gensojas. Das, so das Zertifikat, ist das Soja von Monsanto, das resistent ist gegen das Herbizid Roundup Ready.
„Die Regierung möchte diese Frage im Moment nicht politisieren oder ideologisieren“, sagt die neue Umweltministerin Marina Silva, die im letzten Jahr, als sie noch Senatorin war, einen Gesetzentwurf für ein 5-jähriges Moratorium für GVOs in den Senat einbrachte, das immer noch nicht abgestimmt ist.
Ein anderer Gesetzentwurf, der die Legalisierung von GVOs erlauben will, liegt in der Abgeordnetenkammer. Das Gesetz, das als Erstes abgestimmt wird, hat Gültigkeit.
Doch zu diesem Countdown zwischen beiden Gesetzentwürfen wird es wohl nicht kommen. Die Regierung wird sich endgültig positionieren müssen. In den nächsten Tagen soll zunächst das Problem mit der verseuchten Ernte aus Südbrasilien aus der Welt geschaffen werden. Die erste Idee, das illegale Gensoja auf dem brasilianischen Markt zu verkaufen, ist nach lauten Protesten schon wieder verworfen.
Und dann steht ja immer noch das absurde Revisionsverfahren von Monsanto gemeinsam mit der Regierung gegen das gerichtliche Verbot von GVOs an. Die Umweltgruppen wünschen die Einstellung oder zumindest den Ausstieg der Regierung aus dem Verfahren. Sie erinnern Lula an sein Versprechen, das er vor der Wahl 2002 gab, in puncto gentechnisch veränderter Organismen das Vorsorgeprinzip walten zu lassen.
Lula hatte gesagt, dass er für ein 5-jähriges Moratorium für GVOs ist. In dieser Zeit sollen wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkung von gentechnisch veränderte Organismen auf Umwelt und Gesundheit gemacht werden.