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Archiv-Artikel

Soziales Netz für Notzeiten

betr.: „Der Streit ist schon entschieden“ (Grüner Sonderparteitag – dennoch kommen die Sozialkürzungen), Kommentar von Ulrike Herrmann, taz vom 25. 3. 03

So sehr ich Frau Herrmann schätze, so unterschätzt sie aber doch den Solidaritätsgedanken, den viele Grüne nicht nur theoretisch vertreten, sondern auch leben. „Unsere Gesellschaft darf das Prinzip der Solidarität nicht aufgeben. Der Sinn des Sozialstaates besteht doch gerade darin, in der Krise Halt zu geben. Doch kaum wird es knifflig, soll bei den Schwachen gekürzt werden. Ein soziales Netz für Notzeiten wird entzogen, weil die Notzeit da ist.“ So und ähnlich argumentierten die Grünen in Wahlbroschüren noch vor wenigen Jahren.

Ich wünsche dem Kreisverband Münster, dass ein Sonderparteitag erreicht wird. Ich wünsche dem Sonderparteitag die Kraft, dass der Solidaritätsgedanke Grundlage seiner Beschlüsse wird.

HENDRIK LÜDKE, Marbach am Neckar

Auch grüne Spitzenleute finden es leider richtig, den Armen zu nehmen, was den Besserverdienenden gegeben werden soll. Damit dürfte besiegelt sein, was seit längerem an Vorschlägen zur angeblichen Rettung des Sozialstaates durch die Medien geistert. In diesen Fragen gibt es keine ernsthafte parlamentarische Opposition mehr in Deutschland. Damit wird in dieser Frage besonders schmerzhaft deutlich, dass unsere Stellvertreterdemokratie arge Lücken hat. Wem der Sozialstaat als Ausgleich zu Gunsten der Benachteiligten am Herzen liegt, findet seine Meinung nur noch bei Gewerkschaften und Kirchen wieder, nicht mehr bei Parteien. […] Arme Demokratie! Es ist wohl zu befürchten, dass auch diese keine Lobby mehr hat. NORBERT DOKTOR, Magdeburg

Ulrike Herrmann sitzt dem Irrtum auf, dass Kürzungen immer zu Lasten der Armen gehen. In diesem Fall stimmt das, ausnahmsweise, nicht: Ehemalige Geringverdiener, die längere Zeit arbeitslos sind, bekommen schon heute nicht mehr als Sozialhilfe. Welcher Geringverdiener liegt schon über Sozialhilfeniveau, wenn sich sein Einkommen auf den Arbeitslosenhilfesatz von 53 bzw. 57 Prozent reduziert. Für Arme ändert sich also nichts. Schlechter gestellt werden durch die geplanten Änderungen in erster Linie Angehörige der Mittelschicht bzw. Schröders „neuer Mitte“, die arbeitslos werden und nur noch, z.B. aufgrund ihres Alters, schwer eine Arbeit finden. Wenn es den Grünen leicht fällt, dieser Kürzung zuzustimmen, dann weniger weil sie Besserverdienende sind, sondern weil sie überdurchschnittlich häufig im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. MICHAEL SCHÜTZ, Speyer

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