Nato übernimmt mehr Verantwortung

Minister beraten über neue Strategie in Afghanistan. Struck kündigt Ausweitung des europäischen Engagements an

BERLIN taz ■ Kurz vor dem Treffen der Verteidigungsminister der Nato-Mitgliedstaaten am Freitag in München mehren sich die Stimmen, dass ein verstärktes Engagement des Verteidigungsbündnisses in Afghanistan unmittelbar bevorsteht. Dem Vernehmen nach soll die Zahl der so genannten regionalen Wiederaufbauteams (PRT) von 10 auf bis zu 18 erhöht werden. Derzeit sind 7 dieser Teams unter Kontrolle der Vereinigten Staaten im Lande tätig, je eines wird von Deutschland, Großbritannien und Neuseeland unterhalten. Weiterhin sei geplant, der Nato-geführten Internationalen Schutztruppe (Isaf) die Führung im Kampf gegen die noch verbliebenen Al-Qaida-Gruppen zu übertragen und damit de facto die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten geführte Operation „Enduring Freedom“ der Isaf zu unterstellen. Eine Kompetenzenverschiebung, die ganz im Sinne der US-Führung wäre, hatte doch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bereits im November vergangenen Jahres eine solche Unterstellung der amerikanischen Teams unter das supranationale Mandat angeregt. Je mehr Ressourcen am Hindukusch frei werden, desto mehr Kraft können die US-Boys in die Verbesserung ihrer Lage im Irak investieren. Die Zeit drängt, der Wahlkampf hat begonnen.

Das Bundesverteidigungsministerium hält sich zu diesen Plänen noch bedeckt, doch Minister Struck gilt als Befürworter eines stärkeren internationalen Engagements in Afghanistan. Schließlich kann Deutschland dort seinen Bündnispartnern nach der strikten Haltung in der Irakfrage Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein demonstrieren.

Entsprechend bekräftigt Struck gegenüber der Süddeutschen Zeitung, man werde wahrscheinlich von August an durch den Einsatz des Eurokorps im Hauptquartier der Isaf noch mehr Verantwortung übernehmen. Ein entsprechendes Angebot an die Nato soll auf der Konferenz in München beraten werden.

Auch ein Einsatz der Nato-Truppen im Irak ist längst kein Tabu mehr. Offiziell wird das zwar dementiert, aber nach Angaben der FAZ soll die Irakproblematik noch in diesem Monat auf der Tagesordnung der Nato stehen. Besonders eine Übernahme des Kommandos in den bisher von polnischen und britischen Truppen besetzten Gebieten werde diskutiert. Spätestens bis zum nächsten Nato-Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten in Istanbul im Juni dieses Jahres könnten dann die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung gegeben sein. Ein derartiger Beschluss würde die Bundesregierung mehr und mehr in die Enge treiben, besonders wenn sich mit den Franzosen der engste Verbündete im „alten Europa“ an dem Einsatz beteiligen würde. Entsprechende Meldungen scheinen in Nato-Kreisen zu kursieren. Wie der Ausweg aus einem solchen politischen Dilemma gefunden werden könnte, stellt der Minister bereits in Aussicht. Wenn eine demokratisch gewählte irakische Regierung „um humanitäre Hilfe“ bitten würde, „werden wir uns nicht verweigern“.

DAVID CHRISTOPH LERCH