: Kompetenz der Gefühle
Der Supervisions- und Coaching-Markt boomt – und das ist grundsätzlich auch gut so, sagt die Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin Annelie Keil. Allheilmittel sind solche Beratungsformen allerdings nicht
Supervision scheint in vielen sozialen Einrichtungen kein Fremdwort mehr zu sein, und jeder Manager, der was auf sich hält, bekommt sein Coaching. Ein Boom?
Zumindest grundsätzlich eine begrüßenswerte Entwicklung, sagt Annelie Keil, Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin an der Uni Bremen. Den gestiegenen Supervisionsbedarf sieht sie darin begründet, dass sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass allein das Beherrschen und Anwenden von Fachwissen nicht reiche, um ein gelungenes Produkt herzustellen. Wobei „Produkt“ auch eine Dienstleistung wie etwa die medizinische Versorgung in Krankenhäusern ist: „Schließlich spielt die Zusammenarbeit zwischen ÄrztInnen und PflegerInnen eine Rolle. Außerdem haben PatientInnen unterschiedliche Bedürfnisse.“ Im Prinzip also eine uralte Erkenntnis, die sich aber zu lange nicht durchgesetzt habe, urteilt Keil.
Und die in manchen Bereichen gerade wieder aus dem Blick verschwindet: Ein aktuelles Beispiel sieht Keil im Umgang mit den deutschen PISA-Ergebnissen: Nicht nur, dass die Entwicklung von sozialer und emotionaler Kompetenz bei den Kindern vernachlässigt werde, weil es hauptsächlich wieder um Wissensvermittlung gehe. Auch wenn die Lehrerin nicht damit zurecht komme, von Schülern beschimpft zu werden, à la „Olle Fotze, du hast mir gar nichts zu sagen!“, gebe es dafür derzeit kaum Aufmerksamkeit. „Für sozial stark belastete Berufsgruppen haben wir keinen Supervisions-Boom“, bedauert Keil.
Den verortet die Wissenschaftlerin vor allem auf dem privatwirtschaftlichen Sektor. Dabei könne das Interesse, mit dem man zu Supervision oder Coaching greife, sehr unterschiedlich sein: Der These, dass solche Beratungsformen nur eingesetzt würden, um eine Organisation oder einen Betrieb wieder glatt laufen zu lassen, folgt sie nur zögernd. „Wenn diese Techniken nur instrumentell eingesetzt würden, würde niemand so viel Geld dafür ausgeben.“ Denn Coaching kann auch als Alibi funktionieren: Wenn sich Mitarbeiter zwar enst genommen fühlen, weil die Unternehmensleitung in eine solche Maßnahme investiert, tatsächlich aber die realen Probleme – beispielsweise Arbeitsbedingungen – nicht aufgegriffen werden.
Von einem „Psychologisieren“ könne man sprechen, wenn man von einer Methode erwarte, dass sie alle Probleme löst, etwa: „Wenn alle Supervision machen, geht es allen besser.“ Für Annelie Keil ist hingegen klar: Wo Konflikte existieren, die man nicht alleine lösen könne, brauche man entsprechende Unterstützung. „Aber man braucht auch nicht für alles Therapie. Die Voraussetzung ist, dass man die Möglichkeit hatte, emotionale und soziale Kompetenz zu erlernen.“ ULRIKE BENDRATH