: Lass‘ die Straße rein
Bremen, deine Neubauten: Mitunter entstehen an der Weser Gebäude, die den zweiten Blick lohnen. Die taz stellt in loser Folge Bremens jüngste architektonische Perlen vor. Eine davon ist Ulf Sommers weißer Kubus in Riensberg, der in der Ästhetik der Moderne Innen und Außen zusammenbringt
Fährt man die Schwachhauser Heerstraße durchs Riensberg-Viertel stadtauswärts, so ist linker Hand kurz vor der Abzweigung zum Focke-Museum neuerdings ein prägnanter Blickfang auszumachen. Dort, wo üblicherweise gepflegte Bürgerhäuser der gehobenen Klasse im Stil der Jahrhundertwende hinter Rhododendren den gebührlichen Abstand zur Straße halten, hat sich ein neues Gebäude, ein weißer Kubus, selbstbewusst an die Straße gesetzt. Genauer: Ulf Sommer hat den Kubus dort platziert. Der 57-jährige Architekt, der jüngst mit Bauten wie der Sparkassenfiliale in der selben Straße (Ecke Kirchbachstraße) und mit einem beim BDA-Preis 2002 ausgezeichneten Bürohaus im Technologiepark auf sich aufmerksam machte, konnte sich mit dem Bauwerk einen alten Traum erfüllen: Wohnen und Arbeiten unter einem Dach.
Sommers Haus ist ein Bekenntnis zur Ästhetik der Moderne. Das verrät bereits der erste Blick. Doch ist der Bezug kein formal-oberflächlicher. Schon der Bauhaus-Meister Laszlo Moholy-Nagy hatte gefordert, dass eine Wohnung, über die reine Zweckerfüllung hinaus, „die Tatsache des Raumes“ erlebbar zu machen habe. Der weiße Kubus in Riensberg überzeugt, ganz in diesem Sinn, durch seine komplexe Raumgestaltung.
Das zeigt sich etwa in der Art, wie das Innere mit dem Äußeren verwoben wird, wie Innenraum und Umraum in Bezug gesetzt sind. So wird die vielbefahrene Straße innen nicht als störendes Element ausgeschlossen beziehungsweise heruntergespielt, sondern als ein anregendes Stück urbanen Lebens willkommen geheißen: mit betont großen Fenstern in den drei Hauptgeschossen, die – anders herum betrachtet – fast wie Schaufenster auch den Passanten Einblicke in das Haus gewähren.
Die parkartige Gartenlandschaft mit altem Baumbestand hinter dem Haus ist innenräumlich ebenfalls in Szene gesetzt. So richtet sich der haushohe filigrane Glaserker, der die Südwestwand des Kubus dominiert, an einer mächtigen Buche aus. Als ein sich jahreszeitlich wandelnder Lichtfilter wird der Baum gewissermaßen zum Bestandteil des Hauses. Aber auch als Gegenstand der kontemplativen Betrachtung wird er das – wie die gezielt gesetzten Kunstobjekte, die das Bauwerk bereichern.
Spannende Raumbeziehungen gibt es schließlich auch im Inneren selbst zu entdecken. Immer wieder eröffnen sich überraschende Durchblicke. Manchmal sind sie funktional begründet, wie die raffinierten Sichtachsen im Treppenhaus. Manchmal finden sie in der reinen Raumwirkung ihr Ziel, wie die vertikale schachtartige Verlängerung des Vorraums, die zu einem Oberlicht fluchtet.
Neben der modernen Raum- und Formensprache nennt Sommer auch das Bremer Haus als Anknüpfungspunkt. Er kennt den Typus gut, hatte er doch lange Jahre in einem solchen Haus an der Contrescarpe sein Büro und in einem anderen in Peterswerder seine Wohnung. Im neuen Haus entspricht vor allem die prägende Raumflucht der langen Achse vom Straßenfenster zum Gartenfenster dem Vorbild. Das Treppenhaus ist hier allerdings – im Gegensatz zum typischen Bremer Haus – deutlicher separiert, so dass sich bei Bedarf jede Etage gut einzeln vermieten ließe. Und auch die Querachse vom Treppenabsatz zum Erker lässt sich nur in Häusern realisieren, die von drei Seiten belichtet sind. Gerade sie sorgt hier aber für die charakteristische Gliederung aller Etagen in Straßen-, Erker- und Gartenraum – Bereiche, die fließend ineinander übergehen. Auf Türen wird weit gehend verzichtet. Erst im langsamen Prozess des Bewohnens werde sich zeigen, meint Sommer, wo vielleicht eine solche Trennung notwendig ist.
Aktuell arbeitet der Architekt an der Planung des Kulturzentrums „Haus im Park“ beim ZKH Ost. Das Bauwerk, das ein durch Brand zerstörtes Jugendstilhaus ersetzt, ist aufgrund seiner modernen Formensprache umstritten. Bleibt zu hoffen, dass es auch hier gelingt, Funktionserfüllung und Raumerlebnis in eine spannungsvolle Synthese zu bringen.
Eberhard Syring