ein arabisches tv-tagebuch
: Der Schriftsteller Sélim Nassib über den Irakkrieg aus der Perspektive von al-Dschasira

Selbstmordattentate als Waffe der Armen

Die Märtyrer-Aktion, die am Samstag in der Stadt Nadschaf stattgefunden hat, ist das Ergebnis einer persönlichen Entscheidung des Täters, sagt der Sprecher des irakischen Verteidigungsministeriums. Der Vorname dieses Helden lautet Ali, so wie der Imam Ali (in der Art des Propheten und Begründers des Schiismus). Er hat seinen Körper in die Luft gesprengt, hat dabei elf Amerikaner getötet und nicht vier, wie berichtet wurde. Der Bauer, der vor einigen Tagen einen Hubschrauber vom Typ Apache abgeschossen haben soll, hieß übrigens auch Ali.

Jetzt werden die Märtyrer-Operationen weitergehen, die einigen tausend arabischen Freiwilligen miteinbegriffen, die hierher gekommen sind, um sich die Türen des Paradieses zu öffnen. Auf al-Dschasira entdeckt das irakische sunnitische Klansystem, vom Laizismus geprägt, plötzlich die patriotischen Tugenden der Schiiten, die es seit Beginn grausam unterdrückt hat. Jetzt, wo die britische Armee einen Teil des schiitischen Südens besetzt hält und einen Aufstand der Menschen gegen Saddam Hussein zu erreichen versucht, wird nichts ausgelassen, um dieser Gemeinschaft zu schmeicheln, die über 50 Prozent der irakischen Bevölkerung umfasst. Dann gibt der Sender Kamal Charrasi, dem Außenminister der schiitischen islamischen Republik Iran, das Wort. „Teheran wird kein Regime anerkennen, das dem Irak von Invasionstruppen aufgezwungen wird. Im Kampf Bush junior gegen Saddam Hussein sind wir neutral, wir sind es aber nicht angesichts einer Aggression, unter der das muslimische irakische Volk leidet. Die libanesische Hisbollah, islamische Organisationen und alle religiösen Autoritäten haben sich für diese Position ausgesprochen. Wir werden nur ein Regime anerkennen, das das irakische Volk bestimmt, unter der Aufsicht der UNO und durch Wahlen.“

Indirekt zeichnet der iranische Minister die Perspektive eines Ausweges, die sowohl für die arabische Öffentlichkeit wie auch für die Europäische Union oder Russland akzeptabel wäre: dass der Angriff den Irak von Saddam befreit und dass die Internationale Gemeinschaft die Kontrolle des Landes übernimmt. Die Informationen werden durch die Ankündigung eines Selbstmordattentats unterbrochen. In Natanja, im Norden von Tel Aviv. Eine Viertelstunde später ist es am Korrespondenten von al-Dschasira in Kuwait-Stadt zu vermelden, dass ein ziviler Lastwagen auf Soldaten in einem amerikanischen Militärcamp losgerast ist. Nach elf Kriegstagen sind die Selbstmordattentate – oder um die Terminologie des Senders zu benutzen: die Märtyrer-Operationen – nun auf der Bühne aufgetaucht, stillschweigend präsentiert als Waffen der Armen gegen die Allmacht Amerikas und Großbritanniens. SÉLIM NASSIB

Der libanesische Schriftsteller Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira