: Weder Freund noch Feind
Der Fall Mzoudi bringt das Hamburger Gericht an die Grenzen der Wahrheitsfindung. Die Staatsanwaltschaft legt gegen den Freispruch Revision ein
AUS HAMBURG KAI VON APPEN
Der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) hat Abdelghani Mzoudi vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord in über 3.066 Fällen sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen. „Sie haben Grund zur Erleichterung“, sagte der Vorsitzende Richter Klaus Rühle zu Beginn der Urteilsbegründung, „aber keinen Grund zum Jubel, Herr Mzoudi. Wir haben Sie nicht freigesprochen, weil wir Sie für unschuldig halten, sondern weil uns Beweismittel nicht zugänglich waren.“
Für den 3. OLG-Senat habe dieses Verfahren gezeigt, „dass auch dieses Gericht an die Grenzen der Wahrheitsfindung gekommen ist“, so Rühle. So haben sich die US-Behörden bis zuletzt beharrlich geweigert, den in den USA inhaftierten Ramsi Binalshibh als Zeugen zur Verfügung zu stellen. Auch seine Vernehmungsprotokolle durfte das deutsche Gericht nicht einsehen.
Auch die Bundesanwaltschaft (BAW) habe dem Staatsschutzsenat Fakten vorenthalten. Man habe die Ermittlungsergebnisse zu Beginn des Verfahrens so dargestellt, dass das Al-Qaida-Netzwerk nur als „Sponsor“ aufgetreten sei. Auch von dem Interview des Fernsehsenders al-Dschasira im Jahr 2002 mit den beiden Al-Qaida-Drahtziehern Scheich Mohammed und Ramsi Binalsibh habe das Gericht zunächst nichts gewusst. Beide Interviewten hatten ausgesagt, die Attentate seien im Jahr 2000 in Afghanistan geplant worden. „Das Interview war von der BAW aus den Ermittlungsakten zur Hamburger Gruppe herausgenommen worden“, so Richter Rühle. Erst als der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, diese Version „als Erkenntnislage seine Dienstes“ bestätigte, sei Bewegung in die Beweiserhebung gekommen. Als auch noch der Spiegel aus Vernehmungsprotokollen der beiden in den USA inhaftierten Mohammed und Binalshibh zitierte, sah sich die BAW genötigt, das Bundeskriminalamt zu einer Stellungnahme in gleicher Richtung zu bewegen.
Seit Oktober geht das Gericht davon aus, dass nicht die radikalisierte islamische Studentengruppe in Hamburg – zu der sowohl Mzoudi als auch Binalshibh und die späteren Todespiloten Mohammed Atta, Marwan al-Shehhi, Ziad Jarrah gehörten – die Attentate des 11. September geplant haben. Vielmehr gebe es Indizien dafür, dass Atta, Binalshibh, Shehhi und Jarrah erst im Jahr 2000 in einem militärischen Ausbildungslager der al-Qaida bei Kandahar für die Attentate angeworben worden seien. „Die vier wussten, dass ein Plan besteht, Flugzeuge als Bomben einzusetzen“, bekräftigt Rühle. „Die Beweisaufnahme hat jedoch nicht ergeben, dass der Angeklagte in die Anschlägspläne eingebunden war oder davon Kenntnis hatte.“ Auch wenn er ideologisch mit der Gruppe sympathisiert, Hassgefühle gegen die USA und das „Weltjudentum“ gehegt und Freundschaftsdienste geleistet habe, reiche dies für den Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer eigenen terroristischen Vereinigung in Hamburg“ nicht aus. Rühle: „Die Beihilfehandlungen waren Alltagshandlungen.“
Die BAW kündigte Revision an. „Das, was das Gericht vorgetragen hat, mag uns nicht zu überzeugen“, sagte Bundesanwalt Walter Hemberger. Mzoudi Verteidiger Michael Rosenthal sieht indes doch Grund zum Jubel: „Es ist ein Tag der Justiz, die ihre Unabhängigkeit gezeigt hat sich von Einflüssen freizuhalten.“ Das Gericht habe „liebevoll alle belastende Indizien zerpflückt“.
Abdelghani Mzoudi selbst hat nun die Hoffnung, sein Studium in Hamburg fortsetzen zu können. Zur Ankündigung von Schill-Innensenator Dirk Nockemann (PRO), den 31-jährigen Marokkaner bei einem Freispruch sofort abzuschieben, sagte Mzoudis Anwältin Gül Pinar: „Herr Mzoudi wird noch länger in Hamburg sein als Herr Nockemann im Amt.“