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Archiv-Artikel

„Messer machen Mörder“

Heute tritt bundesweit das neue Waffengesetz in Kraft. Die Polizei glaubt, dass die Gewalt dadurch zurückgeht. Streetworker zweifeln: Eine Strafe für den Besitz von Waffen bringe nichts. „Dann besorgen sie sich eben auf dem Schwarzmarkt neue“

von PLUTONIA PLARRE

Am neuen Waffengesetz, das heute bundesweit in Kraft tritt, scheiden sich die Geister. Nach Ansicht von Polizeipräsident Dieter Glietsch werden Berlins Straßen sicherer. „Das Gesetz wird zu keinem Rückgang von Gewalt führen“, meint dagegen Streetworker Detlef Kumlehn, der sich seit 13 Jahren bei der Organisation Gangway um gewaltbereite Jugendliche kümmert. Insbesondere die Verbote von Butterfly- und Faustmessern seien sinnlos. „Wer Gewalt einsetzen will, greift auch zum Küchenmesser von Muttern.“

Das neue Waffengesetz sieht im Wesentlichen zwei Änderungen vor: Gas- und Schreckschusswaffen, die bisher jeder über 18 Jahre erwerben konnte, sind nun waffenscheinpflichtig, wenn sie in der Öffentlichkeit getragen werden sollen. Der „kleine Waffenschein“, bei dem die „Zuverlässigkeit und persönliche Eignung“ des Waffenbesitzers überprüft wird, kann auf jedem Polizeiabschnitt beantragt werden.

Ab sofort verboten sind Faltmesser (Butterflymesser), Fallmesser aller Art, Faustmesser und Wurfsterne, für die bislang keine Altersbeschränkung galt. Zuwiderhandlung wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer seine Waffe bis zum 31. August bei der Polizei abgibt oder zerstört, bleibt jedoch straffrei.

Die bestimmende Waffe bei Jugendgruppengewalt sei das Messer, sagt der Leiter für Kriminalprävention bei der Polizei, Winfried Roll. Von 1.198 bewaffneten Fällen von Jugendgruppengewalt, die im vergangenen Jahr registriert wurden, seien 68,8 Prozent unter Einsatz von Messern erfolgt. In 19,9 Prozent wurden Schreckschusswaffen eingesetzt, in 16,3 Prozent Hiebwaffen. Das neue Waffenrecht gebe der Polizei die Möglichkeit zur frühzeitigen Intervention, begrüßt Roll die Neuerungen. „Vorher konnten wir die Jugendlichen nur warnen: Messer machen Mörder, pfui. Jetzt können wir sagen: Wer ein Messer hat, macht sich strafbar.“

Gangway-Streeworker Kumlehn glaubt, das Messerverbot werde schon allein deshalb wirkungslos bleiben, weil die Polizei keine Kapazitäten habe, um die Einhaltung zu überwachen. Zudem sei es auch früher schon bei Kontrollen üblich gewesen, dass Polizisten den Jugendgangs die Waffen abgenommen hätten. Auch dass auf Waffenbesitz nun eine Strafe drohe, bringe nichts: „Dann besorgen sie sich eben auf dem Schwarzmarkt neue.“ Das Ganze sei mit heißer Nadel gestrickt, kritisiert Kumlehn die Gesetzesverschärfung, die als Reaktion auf das Schulmassaker in Erfurt erfolgte.

Folgt man dem Kripobeamten Hans-Günther Lieser, dann sind flächendeckende Kontrollen weder gewollt noch beabsichtigt: „Wir setzen darauf, dass sich die Bürger an das Gesetz halten“, sagte er.

In den kommenden Wochen will die Polizei in den Schulen ein Merkblatt über das neue Waffenrecht verteilen. Der Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall hat die Neuregelung bereits begrüßt. Dies sei ein Beitrag, junge Menschen zu schützen, die sich zum Selbstschutz bewaffneten. Der beste Schutz gegen jede Bewaffnung sei aber die Förderung des Vertrauens in der Schule.