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Archiv-Artikel

Gebietsschutz für Maria

Zur griechischen Halbinsel Athos mit seinen zwanzig orthodoxen Klöstern haben Frauen seit den Zeiten Konstantinos Monomachos’ keinen Zutritt. Nicht einmal weibliche Haustiere gibt es. Ein Hort des Fundamentalismus? Ein Blick hinter Europas letzte Mauer

AUS ATHOS RALPH BOLLMANN (TEXT) UND ZBIGNIEW KOŚĆ (FOTOS)

Der Aufbruch in die Langsamkeit beginnt reichlich hektisch. Mit todesmutiger Geschwindigkeit rast das Taxi durch die engen Kurven im bergigen Hinterland der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki, wo in der Ferne schon der Athosgipfel grüßt. Mit lautem Hupen überholt der Chauffeur selbst Linksabbieger, und bei manch einem Überholmanöver auf der schmalen Straße verfehlt er nur knapp die Stoßstange des Lastwagens zur Rechten, während links schon der Gegenverkehr vorbeirauscht.

Drei Stunden, hatte der Fahrer frühmorgens vor dem Pilgerbüro in Thessaloniki gesagt, brauche er mindestens bis ins Hafenstädtchen Ouranoupolis, wo die Fähre zur Mönchsrepublik ablegt. Das war um viertel vor acht; jetzt ist es gerade mal halb zehn. Noch eine Viertelstunde, bis das Schiff ablegt. Die Zeit reicht knapp, um den im Morgengrauen ergatterten Berechtigungsschein gegen die Besuchserlaubnis zu tauschen. Erleichtert halten wir das kunstvoll gestaltete Papier in Händen.

Vierzig Kilometer ist die Halbinsel lang, die sich im Schatten des mehr als zweitausend Meter hohen Athosgipfels ausbreitet. Zwanzig Klöster verteilen sich auf die einsamen Buchten und pittoresken Felswände der autonomen, aber nicht souveränen Mönchsrepublik. Auf dem Landweg versperrt ein Zaun den Durchgang, und der Einreise auf dem Seeweg geht eine langwierige Prozedur voraus (siehe Randspalte).

Allerdings nur für Männer – denn Frauen dürfen den Klosterstaat prinzipiell nicht betreten. Unter den Verboten, von denen Schilder an der Athosküste mehrsprachig künden, steht „der Frauenzugang“ an erster Stelle. Verstöße, droht die Aufschrift, würden „streng geahndet“. Nicht mal weibliche Haustiere sind an den Abhängen des Heiligen Berges gestattet, und auch die männlichen Zivilbeschäftigten müssen ihre Familien jenseits der Grenze zurücklassen.

Immer wieder bringt María Izquierdo Rojo das Staatsgebilde deshalb in die Nachrichten. In schöner Regelmäßigkeit führt die spanische Sozialistin mit dem sprechenden Nachnamen (zu Deutsch: Links-Rot) Beschlüsse des Europaparlaments herbei, die den Verstoß gegen das „Recht auf Freizügigkeit“ in den schärfsten Tönen geißeln. Der Berg Athos sei „ein klares Beispiel für religiösen Fundamentalismus“, schimpft die Abgeordnete. Besonders gern nervt sie die Brüsseler Kommission mit Anfragen, wie viel europäisches Steuergeld die griechischen Frauenfeinde für den Erhalt ihrer Klöster denn bekämen. Dabei weiß sie die Antwort längst: Rund 150 Millionen Euro sind für das Weltkulturerbe bewilligt.

Europaweit vermelden die Gazetten den Skandal, nur die eigentlichen Adressaten bleiben gänzlich ungerührt. Schließlich befahl der byzantinische Kaiser Konstantinos Monomachos schon im Jahr 1045 per Dekret, dass „keine weichgesichtige Person“ den heiligen Berg der Orthodoxie je betreten dürfe. Die Halbinsel, so die offizielle Begründung, sei der ausschließliche Besitz der Jungfrau Maria. Sie dürfe keine Konkurrenz bekommen.

Der griechische Staat fühlt sich noch immer an das Gesetz gebunden, begreift er sich doch als Nachfolger des oströmischen Reiches – auch wenn nach der gescheiterten Rückeroberung Konstantinopels 1922 weitere Versuche der gewaltsamen Wiedervereinigung unterblieben. Bis heute prägen Byzanz und seine orthodoxe Religion das moderne Griechenland weit mehr als jene Trümmer der klassischen Antike, auf die Touristen aus dem Norden gemeinhin so erpicht sind. Die griechische Historie kann der Besucher am Berg Athos jedenfalls besser studieren als auf der Akropolis.

Zweifelhaft ist das Vergnügen allerdings, wenn der Geschichtsdozent ausgerechnet Pater Nikolaos heißt und als Mönch im Kloster Megistis Lavras lebt. Da sitzen die Besucher nach der Abendmesse friedlich im fahlen Licht der Dämmerung, in einem jener offenen Pavillons hoch über dem Meer, die in den meisten Athos-Klöstern der Begegnung von Gastgebern und Gästen vorbehalten sind. Harmlos beginnt Nikolaos das Gespräch, fragt nach Herkunft und Religion, bittet einen zufällig anwesenden Deutsch-Griechen um Übersetzerdienste.

Dann aber bricht es aus ihm hervor. Deutschland, prophezeit er, werde dereinst als erstes Land zur Orthodoxie bekehrt. Dereinst, wenn die Türken endlich aus Konstantinopel vertrieben wären, „zu einem Drittel getötet, zu einem Drittel versklavt, zu einem Drittel in die Tiefen Asiens zurückgedrängt“, wie er sagt. Die Gäste, auch die griechischen, schweigen betreten. Auch wenn es dem Übersetzer langsam peinlich wird, redet Nikolaos unbeirrt weiter.

Obwohl bereits die Nacht hereingebrochen ist, lädt er zum Rundgang durch das Kloster ein. Vor einem Fresko, auf dem im Halbdunkel nur undeutlich die Apokalypse zu erkennen ist, bleibt er stehen – und wettert gegen die USA. Schon an der Zahl der Sekten jenseits des Atlantik lasse sich die Verderbtheit des Protestantismus zweifelsfrei ablesen, verkündet er, und George W. Bush sei niemand Geringeres als der Antichrist höchstselbst.

So düster ist es mittlerweile zu Füßen der alten Zypresse im Klosterhof, dass die eigenen Gedanken schon fast so sehr abschweifen wie bei dem jungen Mönch mit Zottelbart und wirrem Blick: Ist der Drahtzieher von al-Qaida nirgends auffindbar, weil er sich in einem griechischen Kloster versteckt? Die Idee ist nicht zu Ende gedacht, da kommt ein Nachtwächter und gebietet den Tiraden endlich Einhalt. Ziemlich oft muss er mit seinem krummen Stock auf den tausend Jahre alten Steinfußboden klopfen, bis er Pater Nikolaos zum Verstummen bringt.

Da ist es erst neun, eine Zeit, zu der man in den benachbarten Touristenorten gerade mal ans Abendessen denkt. Aber schon an diesem zweiten Tag des Klosterlebens haben wir uns an den Rhythmus so gewöhnt, dass wir uns gegen die frühe Nachtruhe gar nicht mehr sträuben. Schließlich hatte der Tag schon um vier Uhr früh mit der Morgenmesse im Kloster Stavronikita begonnen, um fünf war die kleine Prozession im Schein von Fackeln zu einer Kapelle am Meer gezogen, und um sechs hatten wir unter einer weinberankten Pergola bei Brot und Feigenmarmelade den Sonnenaufgang erwartet.

Es empfiehlt sich, die Messen nicht zu versäumen – schon allein, weil sich die kargen Mahlzeiten in den athonitischen Klöstern an die Gottesdienst anschließen. Bei den religiösen Eiferern von Megistis Lavras freilich, wo die Frühmesse die vollen fünf Stunden von drei bis acht in Anspruch nimmt, halten selbst die frommsten Pilger nicht durch. Auch die Mönche gehen zwischendurch ihren anderen Geschäften nach. Unentwegt huschen die schwarzen Gestalten im Schein von Kerzen und Öllämpchen herein und hinaus. Jeden Morgen, jeden Abend dasselbe Ritual: die Gesänge der Mönche, das Schwenken des Weihrauchfasses mit seinem betörenden Klirren, die müden Gesichter der Pilger, das Schmatzen beim Abküssen der Ikonen.

Die Besucher, die nicht orthodoxen Glaubens sind, müssen freilich im Vorraum der Kirche verharren. Auch außerhalb der Messe bleibt das Allerheiligste für sie in den meisten Klöstern tabu. Für Kunstliebhaber empfiehlt sich ein Besuch des Athos daher nur bedingt. Auch während der Mahlzeiten in den historischen Speisesälen ist es ratsam, den Wandmalereien nicht zu viel Beachtung zu schenken, selbst wenn es sich um so berühmte Fresken der kretischen Schule handelt wie im Refektorium von Megistis Lavras. Denn sobald der Abt die Lesung aus der Bibel unterbricht, müssen Mönche wie Pilger das Besteck aus der Hand legen.

Romantische Vorstellungen von Einsamkeit und Natur, von kargem Klosterleben und wilder Landschaft, von entbehrungsreichen Fußmärschen und spartanischer Kost locken ohnehin nur die Besucher aus nördlichen Ländern. Bei den griechischen Pilgern herrscht, so sie tatsächlich aus kirchlichen Gründen kommen, religiöses Effizienzdenken vor. Mit dem Schiff oder im bequemen Jeep steuern die meisten Besucher zielbewusst die Klöster mit den wichtigsten Ikonen an. Im Refektorium mäkeln sie an Kichererbsen oder Graupensuppe herum, und kaum sind die mitgebrachten Marienbilder vom Priester gesegnet, ist das Interesse am Klosterleben schon wieder erlahmt.

Der Weg in die Moderne begann 1963, pünktlich zur Jubiläumsfeier tausend Jahre nach der Gründung des ersten Klosters. Um der geladenen Prominenz vom griechischen Präsidenten bis zum orthodoxen Patriarchen mühsame Fußwege zu ersparen, wurde vom Schiffsanleger in Daphni zum Hauptort Karyes die erste Fahrstraße durch den zuvor unberührten Wald geschlagen. Mittlerweile ist ein dichtes Netz von Sandpisten entstanden, das fast alle Klöster miteinander verbindet. Weit mehr als hundert Autos tragen bereits das Autokennzeichen AO: „Agion Oros“, Heiliger Berg.

Schwungvoll brausen die Patres über die sandigen Straßen und hüllen die Wanderer in Staub. Auf den schmalen Fußwegen, einst die einzige Landverbindung zwischen den Klöstern, sind meist nur noch ausländische Touristen unterwegs. Viele Klöster haben im Gästetrakt bereits elektrisches Licht installiert, und mancherorts gibt es sogar schon warmes Wasser. Ohne telefonische Voranmeldung werden Pilger vielerorts gar nicht mehr aufgenommen, ja, viele Mönche mögen auch ihr Mobiltelefon nicht mehr missen.

Dabei schien das endgültige Absterben des Klosterlebens im 20. Jahrhundert schon ausgemacht zu sein. Die Osmanenzeit von 1430 bis 1912 hatten die Klöster dank türkischer Toleranz zwar glücklich überstanden. Aber die Russische Revolution ließ den Zustrom an Geld und Menschen aus dem größten orthodoxen Land versiegen. Drei Jahrzehnte später verschwanden auch Bulgarien, Rumänien und Serbien hinter dem Eisernen Vorhang. Die Modernisierung der griechischen Gesellschaft tat ein Übriges, um den Zustrom junger Mönche auf ein Minimum zu reduzieren. Die immer kleineren Gemeinschaften waren kaum noch in der Lage, die riesigen Klostergebäude zu unterhalten. In den frühen Siebzigern bereitete die griechische Militärjunta schon Pläne vor, wie die pittoreske Halbinsel in ein gewinnbringendes Ferienparadies umzuwandeln sei.

Es sollte anders kommen. Weil der Eiserne Vorhang fiel, konnte der Grenzzaun in Athos bleiben. Den Gläubigen aus dem orthodoxen Osten stand der Weg zu ihrem heiligen Berg plötzlich wieder offen. Vor allem in Russland erlebte die Kirche eine ungeahnte Renaissance, und im Vergleich zu den Lebensumständen in weiten Teilen des Riesenreiches mochte das mediterrane Klosterleben nicht allzu spartanisch erscheinen. Der Klöster wurden von einem Zustrom junger Mönche geradezu überschwemmt. Von 1991 bis 2001 stieg die Zahl der Bewohner von 1.536 auf 2.276 an.

Mit der Moderne kam aber auch der religiöse Fundamentalismus nach Athos. Deutlich auf dem Rückzug ist der Typus des weltzugewandten Priestermönchs: Seine Leibesfülle verriet den Sinn für diesseitige Genüsse, der sorgsam gestutzte Bart die Lust am modischen Auftritt, die funkelnden Äuglein hinter ovaler Nickelbrille den Spaß an scharfsinniger Konversation. Einst gestattete jedes zweite Kloster seinen Angehörigen sogar Privateigentum; noch heute wird die Geschichte eines Mönches kolportiert, der sich eine Luxuskarosse mit dem Fährschiff liefern ließ. Leider versagte das Gefährt auf den holprigen Pisten bald seine Dienste.

Inzwischen aber sind alle zwanzig Mönchsgemeinschaften auf Athos zur strengen Klosterregel zurückgekehrt, die jedes Privateigentum untersagt und die Brüder zu strikter Teilnahme an der Gemeinschaft verpflichtet. Am strengsten hält es das Kloster Esfigmenou im entlegenen Nordosten der Halbinsel, wo nichtorthodoxen Besuchern der Zutritt zu Kirche und Speisesaal gänzlich versagt bleibt.

Die dortigen Mönche zettelten gar einen Aufstand an, als der orthodoxe Patriarch von Konstantinopel im Jahr 2002 Gespräche mit dem römischen Papst begann und damit nach ihrer Ansicht Verrat beging. Als sie Transparente mit der Aufschrift „Orthodoxie oder Tod“ an die Klostermauern hängten, wurde es den übrigen neunzehn Äbten zu bunt. Sie riefen die griechische Polizei zur Hilfe. Allerdings sollte das Kloster nicht erstürmt, sondern bloß belagert werden – und davon zeigte sich Abt Methodios unbeeindruckt: „Wir haben Vorräte für zwei Jahre.“ Die geplante Strafaktion verlief im Sande.

Von derlei Problemen ahnen die Besucher der benachbarten Touristenorte nichts, und dank der rigiden Einreisevorschriften wird es vorerst auch so bleiben. Während sich die Touristen auf den beiden benachbarten Halbinseln Kassandra und Sithonia in der Sonne aalen, sich ein Hotel ans nächste reiht, blieb die landschaftlich weit spektakulärere Mönchsrepublik vom Massentourismus verschont.

Kaum haben wir die Athosfähre auf dem Rückweg in Ouranoupolis wieder verlassen, stürmen schon Horden rotgesichtiger Badegäste in den Bus Richtung Thessaloniki, allesamt durch pinkfarbene Armbändchen als All-inclusive-Gäste ausgewiesen. Am Hafen staunt eine Pauschaltouristin, über den benachbarten Klosterstaat offenbar gar nicht im Bilde, über die zahlreichen Mönchskutten. „Machen die gerade einen Betriebsausflug?“, fragt sie verwundert.

Gut möglich, dass auch die Mönche die Entwicklung nicht mehr lange aufhalten können. Vor allem die Renovierungshilfe aus Brüssel befördert den Wandel durch Annäherung: Mörtel und Zement gegen die Betonfraktion. Nicht ohne Grund wird das EU-Geld von den Fundis auf beiden Seiten so vehement bekämpft – nicht allein von den Feministinnen, sondern auch von den religiösen Ultras aus dem Kloster Esfigmenou. „Wir als Kloster haben niemals Geld von der EU angenommen“, erklärte der aufständische Abt. „Denn dann werden die Europäer kommen und sagen: Dieses Geld stammt auch von Frauen, also haben sie das Recht, auf den Berg Athos zu kommen.“

RALPH BOLLMANN, 34, ist Ressortleiter der taz-Inlandsredaktion. ZBIGNIEW KOŚĆ, 52, ist Sozialpsychologe und Fotograf. In Danzig geboren, lebt er heute in Amsterdam. Mehr von ihm unter http://members.chello.nl/zkosc